Der "Feldzug gegen den Terrorismus":
"Nichts wird sein, wie es war!"(Bush) - Damit alles so
bleibt, wie es ist!
Diskussionsveranstaltung mit Freerk Huisken, am 29.10.01, in
Bonn.
(Der Text stellt die Abschrift des Vortrags da, die nicht zur Veröffentlichung
bestimmt ist.)
Teil A:
I.
Zunächst einmal bedanke ich mich für die Einladung. Ich muss
eine kurze Erklärung vorwegschicken: Ich bin ursprünglich im
Sommer des letzten Jahres eingeladen worden, eine Veranstaltung
zum Thema Rechtsextremismus und die staatliche Rechtsextremismus-Kampagne
zu machen, da ich zu diesem Thema ein Buch geschrieben habe.
Opportunistisch wie ich nun mal veranlagt bin, habe ich mich dem
Paradigmenwechsel - wie es heißt - der Innen- und Außenpolitik
der Staaten der Welt angepasst, und gemeint, ich sollte das Thema
ändern. Ich habe mir die zentrale These von Bush vorgenommen,
der kurz nach dem Anschlag auf die USA angekündigt hatte: "Nichts
wird so bleiben, wie es einmal war". Nach meiner Befassung
mit dem Thema dachte ich mir, da muss man ergänzen: Damit alles
so bleibt, wie es ist!
Dies wird das Motto meines Vortrages sein. Wenn Zeit und
Gelegenheit ist, werde ich dieses widersprüchliche Motto auch
noch an einigen Punkten konkretisieren, die die nationale
Innenpolitik betreffen und auch auf die Frage eingehen, wie dort
der Rechtsextremismus und die sogenannte Ausländerfrage
vorkommen.
II.
Ich habe am 30. 09. 01 in der SZ einen Artikel gefunden, der sich
mit der Frage befasst, wie man Kindern in der Schule diesen
Anschlag erklären kann. Der Artikel hat die Überschrift "Erklären,
was niemand erklären kann"; und der ganze Artikel stellt
bis auf eine einzige Ausnahme Schulen vor, in denen irgendetwas
gemacht wird. Man weiß nicht was. Es gibt eine, nur eine einzige
Ausnahme, die ich kurz zitieren will. Es heiß dort: "Auf
die Frage etwa, warum machen Menschen so etwas, benutzt man in
der Grundschule an der Simmernstaße die Giraffe- und Wolf-Taktik.
Die Terroristen sind Wolfstypen, erklärt Gudrun Hintermeyer den
Kindern. Im Vergleich zur klugen Giraffe, die mit ihrem langen
Hals über ihren eigenen Schatten hinaus gucken kann, ist der
Wolftyp ein richtiger Wadenbeißer. Mit seinem kurzen Hals sieht
er nicht weit sondern nur sich selbst und wenn er glaubt, dass
ihm einer was tun will, in dem Fall die USA, also die Giraffe,
beißt er gleich zu." Das ist die "Giraffe- und Wolf-Taktik"
,mit der die Kinder eingestimmt werden, oder mit der Kindern das
erklärt werden soll, was - angeblich - nicht erklärt werden
kann.
Vorweg, ehe ich mir diese pädagogische Tour ein bisschen
vornehme: Es ist schon interessant, das Ganze unter dem Motto
abzuhandeln "Erklären, was niemand erklären kann".
Ich will mal großzügig über den logischen Unfug dieses Mottos
hinwegsehen, der darin besteht, dass man eigentlich schon sehr
viel über eine Sache wissen muss, wenn man zu dem begründeten
Urteil kommen will, dass man sie nicht erklären kann. Das ist
der logische Unfug an der Sache.
Was soll das Ganze? Warum wird Kindern mitgeteilt, dass sich so
etwas jeder Erklärung entzieht. Die erste Antwort auf diese
Frage lautet und da muss man eigentlich nicht viel zu sagen: Das
ist die Aufforderung zu einer moralischen Parteinahme und zwar für
die USA (die Giraffe), die über ihren eigenen Schatten springen
kann, und eine Parteinahme gegen den Wolf, den Wadenbeißer, der
immer dann zubeißt, wenn er glaubt, dass ihm einer was will. Das
ist die ins Bild gesetzte moralische Sortierung nach Gut und Böse
und über das Bild hinaus erfährt man eigentlich auch gar keine
Begründung dieser moralischen Zuordnung. Parteinahme ist
gefordert, für wen, das ist eindeutig; warum, das bleibt offen.
Da wird nicht gefragt, ob überhaupt und für wen - sondern für
die USA hat man Partei zu ergreifen, weil eben die Giraffe in dem
Fall der Inbegriff des vorausschauenden Guten ist und der
wadenbeißende Wolf der Inbegriff des Bösen. Wichtig an solchen
Beispielen ist, dass die Parteinahme begründungslos ist. Das
passt zur moralischen Sortierung, denn wenn die eine Abteilung
das Böse ist und die andere Abteilung das Gute, dann fallen
Etikettierung, Urteil und Begründung in eins zusammen. Was tut
der Mensch? Etwas Böses. Warum? Weil er halt böse ist. Das ist
eine Tour, die es erübrigt, sich mit dem zu befassen, was da
abgelaufen ist und noch immer abläuft und immer heftiger abläuft.
Das ist mit dieser moralischen Einsortierung abgehakt. Das
Verurteilen kommt ohne jegliches Beurteilen aus. Es ist noch
schlimmer, wenn das ganze unter dem Motto steht "Erklären,
was niemand erklären kann", dann ist das begründende
Urteilen sogar eine verpönte Angelegenheit. Sie kennen alle den
Übergang, der in der Presse in den ersten Wochen nach dem 11. 12.
geschehen ist: "Wer erklärt, der rechtfertigt; wer etwas
begreifen und verstehen will, hat Verständnis. Und das gehört
sich nicht - in diesen Zeiten in denen bedingungslose Parteinahme
für das Gute für die Zivilisation gefordert ist." Dass ist
die Explizierung des Hinweises: "Verurteilen ohne Urteilen
ist verlangt".
Diese moralische Parteinahme wird - und das ist wichtig - nicht
nur von Kindern verlangt. Dass es sich eben nicht nur um eine mit
Kindern veranstaltete Form der Verdummung handelt, weiß jeder
von Ihnen, der die Zeitung einigermaßen liest. Das ist nicht nur
eine Kindertour, sondern das ist hier die Erwachsenentour, mit
der der gesamte Vorfall in der Öffentlichkeit von oben
vorgegeben aufbereitet und uns mundgerecht vorgesetzt wird. In
den Reden von Bush und Schröder ist es dasselbe. (Übrigens
spiegelverkehrt von Bin Laden ebenso.) Wie Kindern, die nur in
Kategorien wie Gut und Böse denken sollen, wird der "Erwachsenenwelt"
die Sache präsentiert. Und wo sich Lehrer dagegen zu Wehr
gesetzt haben, also gesagt haben "bei dieser Verdummung
mache ich nicht mit, sondern ich untersuche das ganze mal" (vielleicht
haben sie sogar umgekehrt Partei ergriffen) gab es in mehreren Fällen
Abmahnungen und Disziplinarverfahren.
Diese Sichtweise ist also nicht nur ein Angebot an den Bürger
gewesen, wie er die Sache vielleicht sehen könnte, wenn er keine
besseres Urteil hat. Sondern es war eine Vorschrift. Da ist über
die theoretische Parteinahme hinaus eine praktische Parteinahme
mitgedacht gewesen - und die kann ja jeder an der Innenpolitik
und an der Sicherheitspolitik ablesen, die z.Zt. auf uns zu kommt.
III.
Mein Vortrag ist der Versuch, gegen diese Vorschrift vorzugehen,
gegen das durchgesetzte Verbot und gegen die moralische Ächtung
des Erklärens dieser Sache. Ich will versuchen, dass was ich
herausgefunden habe, hier vorzustellen und ich meine, dass es
eine ganze Reihe von Sachen gibt, die dringend erklärt werden müssen.
Die Widersprüche, die eine Erklärung, eine theoretische
Befassung - zunächst ganz ohne jegliche Parteinahme -
erforderlich machen, sind nämlich offenkundig. Vielleicht ergibt
sich dann auch, dass sich eine Parteinahme überhaupt verbietet.
Wer weiß das schon vorher, also bevor er seinen Kopf angestrengt
hat? Aber genau das ist ja verboten. Und genau das sollte man
nicht mitmachen.
Die Ungereimtheiten, die man findet, wenn man sich nicht direkt dieser Parteilichkeit anschließt, sind enorm. Ich nenne mal ein paar und werde dann versuchen, diese aufzuklären. Um gleich mit der moralischen Parteinahme anzufangen:
1. Ein Widerspruch zeigt sich darin, dass die US-amerikanische
Regierung und die Nato-Staaten, die uns die Attentäter als die
pure Verkörperung des Bösen, als politisch inhaltslos
vorgestellt haben, selbst nicht an ihr Urteil glauben. Wenn sie
daran glauben würden, dann wäre vollkommen unerfindlich, warum
sie sehr gezielt nach mehreren Tagen gesagt haben, "Das war
Bin Laden, denn der hat ja schon immer antiamerikanische Sprüche
von sich gelassen, und den verdächtigen wir schon seit Jahren
solcher Aktionen". Was heißt also hier "pur böse"?
Da wird auf einen Feind der USA verwiesen, der seine politischen
Gründe hat (worin auch immer die bestehen), solche Aktionen zu
initiieren - wenn es denn stimmt, was die Geheimdienste da
herausgefunden haben. Aber das kann und sollte ja nicht unsere
Sorge sein.
Im übrigen ist dieser Befund dem Anschlag selber zu entnehmen.
Es wird ja wohl kein Zufall gewesen sein, dass die Attentäter
sich das WTC und das Pentagon, also die Zentren von US-Militärmacht
und Weltmarkt, ausgesucht haben. Das ist der erste Widerspruch
den es aufzuklären gilt: Einerseits sagt die politische Öffentlichkeit,
"das war das Böse, da steckt kein politischer Wille
dahinter", andererseits greifen die USA sehr geplant einen
politischen Willen, einen Staat mit Waffen an, von dem sie sagen,
das ist der Herbergsvater dieser Al Quaida. Beide werden als Hort
des Antiamerikanismus identifiziert und mit einer politischen
Feindschaftserklärung überzogen, die militärisch durchgesetzt
wird. Das ist der erste Widerspruch. Wie klärt sich der auf?
2. Ein zweiter Widerspruch: Auf der einen Seite hat Bush mit dem Hinweis, "wer nicht für uns ist, ist gegen uns" - gerichtet an die Adresse von Staaten, von Bewegungen, von Organisationen - eigentlich eine Kriegsdrohung gegenüner der gesamten Staatenwelt ausgesprochen. Dem, der "nicht für uns ist", wird damit schon terroristischer Antiamerikanismus vorgeworfen, das gilt erst mal sehr prinzipiell für alle Staaten one Ausnahme. Auf der anderen Seite stellt man fest, dass im Augenblick ein Teil der Staaten, von denen Amerika selbst sagt, dass sie unter Umständen potentielle terroristische Staaten sind, von einer Reisediplomatie des Westens überzogen wird. Und zwar gerade mit dem Anliegen, sie sollten bitteschön alle in die antiterroristische Front herein. Iran, Libanon, Syrien, Ägypten, die arabischen Emirate usw. Pakistan an erster Stelle und da hat es ja auch geklappt. Was denn nun, werden sie als terroristische Schurkenstaaten verdächtigt, oder sind sie potentielle Verbündete im Kampf gegen den Terrorismus? Wie klärt sich das auf?
3. Dritter Widerspruch: Die Ankündigung, "Nichts wird
mehr so sein wie es war", mit der ich angefangen habe,
bedarf selbst einer Aufklärung. Denn einerseits muß man die Ankündigung
einer totalen Umkrempelung der Welt ernst nehmen; andererseits
entdeckt man, dass die Maßnahmen, die die USA jetzt ergreifen
die sind, mit denen die Supermacht auch schon zu Zeiten des
vergangenen Kalten Krieges für Ordnung gesorgt hat. Da wird das
Militär aufgefahren, da fallen Bomben, da fliegen Flugzeuge und
bomben Städte zusammen (mit den entsprechenden Kollateralschäden),
da wird an der Sortierung der Staatenwelt nach Gewinnern und
Verlierern unbedingt festgehalten. Man kümmert sich, nachdem die
beiden Türme des WTC zusammengestürzt sind, sofort um die
Wirtschaft. 5000 Menschen liegen tot herum, und was ist die erste
Reaktion? Börse zumachen, Sorge um das Finanzkapital und das
spekulative Kapital - alles wie gehabt. Wie passt das zusammen?
4. Ein vierter Widerspruch eird deutlich, wenn man sich die Aktionen in Afghanistan anschaut. Einerseits Bombenteppiche auf die großen Städte, Angriffe auf die Stellungen der Taliban. Man hört auch von biologischen und chemischen Mitteln gegen Höhlensysteme und Opiumfelder - mit den entsprechenden Kollateralschäden in der Zivilbevölkerung, die ganz offen eingestanden werden . Auf der anderen Seite wirft der selbe Staat in Afghanistan Reisbeutel ab. Was denn nun: Zerstörung von Land und Leuten oder Hilfe in der Hungersnot? Das scheint auf den ersten Blick überhaupt nicht zusammen zu passen.
5. Fünfter Widerspruch: Wir wissen alle, dass zunächst mal in den ersten Wochen ganz klar die Botschaft ausgegeben worden ist, es handle sich um den "Kampf der zivilisierten Welt gegen die unzivilisierte Welt des Islam" .Plötzlich entdeckte man jedoch Bush in einer Moschee, wo er mäßigende Reden hält Was ist denn da los? Was hat es mit dem Dementi auf sich, es sei nicht so gemeint, es seien nicht alle Islamis Fundamentalisten. Einerseits wird der Islam also verdächtigt, er sei Grund und Quelle des Terrorismus. Andererseits wird das wiederum relativiert und zwar von den selben Leuten.
6. Sechster Widerspruch: Einerseits erklären Deutschland, die europäischen und die Nato-Staaten die bedingungslose Solidarität mit Amerika. Auf der anderen Seite spricht Schröder in beiden Regierungserklärungen davon, dass diese Solidariät ganz aus nationalen Interessen heraus erfolgt. Wie soll denn das zusammenpassen? Uneingeschränkte Solidarität heißt ja wohl, dass sich Schröder die Anliegen des amerikanischen Staates im Kampf gegen den Terrorismus zu eigen macht. Die andere Sache heißt, das ganze soll aber im nationalen, im deutschen oder europäischen Interesse geschehen. Und irgendwie weiß man ja aufgrund der Entwicklung in den letzten zehn Jahren auch, dass die Partnerschaft zwischen Europa und USA sich mit der Konkurrenz gerade in politischen und ökonomischen Fragen sehr wohl verträgt. Man kann also nicht sagen, dass die Interessen Amerikas vollständig mit den europäischen oder deutschen identisch sind. Wie darf man diese Politik also verstehen? Einerseits bedingungslose Solidarität, andererseits wird auf den nationalen Interessen insistiert, die gerade eine Einschränkung dieses Solidaritätsversprechens sind. Wie passt das zusammen?
7.Siebter Widerspruch: In der Innenpolitik wird gesagt, der Kampf gegen den Terrorismus gebiete ganz neue Sicherheitsmaßnahmen. Otto Schily hat zwei Sicherheitspakete vorgestellt, die jetzt auch verabschiedet werden. Wenn man sich die Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung anschaut, dann sieht man, dass die meisten ohne Praktizierung eines Generalverdachtd gegenüber allen Bürgern im Staat leben, nicht auskommen. Am Flughafen werden alle kontrolliert, bei der Rasterfahndung muss erst mal das Raster sehr breit angelegt werden, neue Passkontrollen, neue Abhörmethoden usw.. Da fallen erst mal alle Bürger drunter - obwohl es doch angeblich nur gegen die Terroristen geht.
Dies sind nur einige der unmittelbar auffallenden Widersprüche, die auf erheblichen theoretischen Klärungsbedarf verweisen. Ich weiß nicht, wie viele der genannten Widersprüche ich jetzt behandeln kann, denn ich möchte auch noch einen zweiten Teil eröffnen: Es gibt natürlich auch Kritik an der amerikanischen Politik. Von einer "neuen Friedensbewegung" (z.B. auf dem Attac-Kongress in Berlin)ist gar die Rede. Was von dieser Kritik zu halten ist, das möchte ich in meinem zweiten Teil abhandeln.
IV.
Zunächst aber zum ersten Widerspruch. Die Behauptung hieß, die
praktische Entscheidung der USA, Afghanistan anzugreifen, um die
antiamerikanische und terroristische Bewegung Al Quaida zu zerstören
auf der einen Seite, und die öffentliche Darstellung, es handele
sich bei den Terroristen um die pure Verkörperung des Bösen auf
der anderen Seite fallen auseinander. Entweder heißt das Urteil:
es handelt sich um bösen, also inhalts- und grundlosen Willen.
Oder der Angriff gilt als eine Kriegserklärung an die USA, als
Antiamerikanismus. Und letzteres haben sie offensichtlich getan,
denn sonst würden sie ja nicht die Al Quaida und Afghanistan
angreifen. Sonst wüssten sie ja auch gar nicht, wen sie
eigentlich angreifen sollten. Sie hätten keinen Grund jemand
Bestimmtes anzugreifen. Denn wenn es nur "das Böse" wäre,
wäre der Angriff auf Amerika ja Zufall, grundlos.
Die Auflösung dieses Widerspruchs ist relativ einfach. Man muss
nur wissen, dass man eine große Unterscheidung zwischen einer
politischen Feindschaftserklärung und dem von den Politikern in
der Öffentlichkeit verbreiteten Feindbild zu machen hat. Auf der
einen Seite die Feindschaftserklärung, in der Amerika manchmal
offen, manchmal nur durch ihre Taten erkennbar, politisch begründet
und militärisch durchführt, was sie wollen. Aus ihrem außenpolitischen
Interesse ergibt sich, warum sie Afghanistan und die Al Quaida
mit militärischen Operationen überziehen. Daneben und getrennt
davon, manchmal sogar im Gegensatz dazu gibt es das Feindbild.
Das ist für uns, für das Volk zurechtgebastelt. Der
Feindschaftserklärung enthält das politische Interesse der USA,
dem Feindbild ist zu entnehmen, wie wir die Sache sehen sollen,
damit wir uns, überzeugt vom Feindbild, der Feindschaftserklärung
anschließen.
Klären wir das inhaltlich etwas weiter: Fangen wir mit der
politischen Feindschaftserklärung der USA gegen den Terrorismus
an. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass sowohl die
Feindschaftserklärung als auch die ersten durchgeführten Maßnahmen
der USA folgende Botschaft, politisch und militärisch, in die
Welt setzen: Jede antiamerikanische Regung eines Staates in
seiner Außenpolitik und jede, von einem Staat in seinem Innern
geduldete oder nicht hinreichend bekämpfte antiamerikanische
Regung wird zum Anlass genommen, solchen Bewegungen und auch dem
"Dulderstaat" , mit einer Feindschaftserklärung zu
kommen; die heißt: "Antiamerikanismus wird militärisch
niedergemacht" .Das wird im Augenblick demonstrativ an
Afghanistan militärisch vollstreckt. Obwohl weder die Taliban-Regierung
Amerika den Krieg erklärt hat noch Amerika der Taliban-Regierung,
wird ein veritabler Krieg geführt, werden die Taliban
zusammengebombt. Ihr Verbrechen ist es, Bin Laden bei sich zu
dulden.
Dass all das ganz ohne Kriegserklärung abläuft, erlaubt den nächsten,
simplen, Schluss: Sie kennen alle die Rede von der
Weltinnenpolitik. Hier führen sich die USA so auf, als könnten
sie die Grenzen souveräner Staaten und deren mehr oder minder
ausgeprägtes Gewaltmonopol nach innen ignorieren, und sich
aufgrund der Machtvollkommenheit zusammen mit der Nato so aufführen
als seien die Staaten eigentlich nur Untertanen ihrer (Welt-)Macht.
Amerika fordert von allen Staaten die Umsetzung der us-amerikanischen
außenpolitischen Zielsetzungen in der Außen- und in der
Innenpolitik. Egal ob das diesen Staaten im Innern Probleme
bereitet und ihre Vorhaben, vernünftig oder unvernünftig,
durcheinanderbringt. Jegliches staatliche Handeln ist ab sofort
unter der Prämisse der amerikanischen Terrorismusbekämpfung zu
betrachten. Die USA machen also ernst mit ihrem Anspruch, dass
sie sich, als Weltmacht Numero eins, um Souveränität von
Staaten nicht kümmern müssen. Das ist der Punkt an dem Völkerrechtsspezialisten
immer aufschreien und sagen, das ist gegen das Völkerrecht.
Souveränität von Staaten wird überhaupt nur noch akzeptiert,
sofern die Souveränität nach innen und außen amerikanischen
Direktiven genügt. Pakistan ist so ein Fall. Der Kurswechsel von
Pakistan, sehr freiwillig wird der nicht vollzogen worden sein,
und die Abwicklung der pakistanischen Innen- und Außenpolitik
lebt von der negativen pakistanischen Entscheidung, sich auf
keinen Fallk mit den USA anzulegen. Was positiv zum Resultat hat,
dass Pakistan nun einen 180-Grad-Kurswechsel vollzogen und gesagt
hat: "OK, Land und Leute werden euch zur Terrorismusbekämpfung
unseres Nachbarn - unseres ehemaligen Zöglings - zur Verfügung
gestellt."
Der amerikanische Standpunkt lässt also kein gegen Amerika
gerichtetes Regime zu, wie immer das auch aussehen mag, vernünftig
oder unvernünftig, wie offensiv oder defensiv diese Gegnerschaft
auch ausgetragen wird. Selbst so etwas, was es eine Zeit lang während
des Kalten Krieges noch gab, wie Neutralität, wird nun von
Seiten der Amerikaner nicht mehr geduldet. Denn die USA machen
ernst mit ihrem Sortierungsmaßstab - für oder gegen US-Interessen
- und der wird in der Zukunft - da muss man kein großer Prophet
sein - noch einiges anrichten in der Welt. Soweit der Inhalt der
Feindschaftserklärung.
Wie soll man als Bürger der zivilisierten Welt nun dieses
Programm, das der Welt als neuer kalter Krieg vorgestellt wird,
betrachten? Wie soll man das nehmen, wie soll man sich das
zurechtlegen? Also wie ist das Feindbild beschaffen? Eines ist
jetzt schon klar: Wo Feindschaftserklärung und Feindbild
auseinanderfallen - und das liegt nun mal in der Logik dieser
Sache -, dann wird das Feindbild immer die Lüge zur
Feindschaftserklärung, die ideologische Fassung, die Schönfärberei
der Feindschaftserklärung sein. Wie sollen wir uns das
imperialistische Interesse zurechtlegen? Als gerecht, gut, als
Kampf der Zivilisation gegen das Unzivilisierte. Als notwendige
Verteidigung der Werte der Zivilisation gegen die Barbarei des Bösen.
Lauter ideologische, moralische, z.T. religiös-theologische Überhöhungen,
in denen das tatsächliche imperiale Interesse Amerikas gar nicht
mehr vorkommt. Wir sollen uns also zu dem politischen Interesse,
das man ja den Taten entnehmen kann, wenn man sie gescheit
anschaut, einen moralischen Standpunkt zulegen, in dem das
politische Interesse, die politische Sache, nicht mehr vorkommt,
also ideologisch ausgelöscht ist. Man soll also nicht mehr sagen,
die USA würden nach ihrem imperialistischen Programm handeln,
brutal Staaten nebst Völkern fertigmachen, wenn die nicht nach
ihrer Pfeife tanzen wollen. Nein, man soll sagen: Das ist die
Verteidigung auch unserer Werte, die Amerika relativ selbstlos übernimmt.
Deswegen, soll man sich sagen, sind die Amerikaner auch im Recht,
wenn sie das machen, wenn sie mal wieder einen Staat in die
Steinzeit zurückbomben, was ja, wie man weiß, bei Afghanistan
schon gar nicht mehr geht. Der Gegner ist dann, weiß man, im
Unrecht, weil der ist ja ein Verbrecher, und deswegen - so heißt
der letzte Schritt dieser Volksverdummungstour, immer mit
Feindbildern in die Welt gesetzt -, sind auch alle brutalen zerstörerischen
Mittel die Amerika einsetzt "leider" gerechtfertigt,
weil notwendig. Das kennt man: Der gute Zweck, der jetzt allein
dem moralischen Feindbild entnommen worden ist, heiligt die
"leider" bösen Mittel. So sollen wir es sehen, und
billigen. Und nicht nur theoretisch billigen, sondern diese
Billigung soll zugleich dafür sorgen, dass wir auch Ja sagen zu
allen praktischen Maßnahmen, zu denen der hiesige Staat sowohl
im Äußeren als auch im Inneren schreitet.
Zusammenfassend oder noch mal anders gesagt: Der Zusammenhang von
US-Interesse und Krieg wird ganz brutal mit dem Feindbild auf den
Kopf gestellt. Das politische Interesse, das ich gerade
entwickelt habe, und die daraus abgeleiteten militärischen
Mittel, heißt: Imperialistisches Vorgehen gegen alles was
antiamerikanisch ist, oder sich von uns als antiamerikanisch
einordnen lässt. Das Recht leiten wir daraus ab, dass uns
sowieso niemand widersprechen kann, denn wir sind ja die Stärksten
- was übrigens schon fast das ganze Geheimnis von Recht ist.
Diesen Zusammenhang kann man sich auch noch von der UNO bestätigen
lassen, damit dieses Interesse nun als allgemeingültiges
vorgestellt wird: Ein singuläres Interesse dieser Supermacht Nr.
1 ist jetzt als Recht inklusive der von der USA in Gegenwart und
Zukunft im Einsatz gebrachten Mittel abgehackt, als allgemein
notwendig vorgestellt und im letzten Schritt über das Feindbild
auch noch geheiligt. Damit sind wir beim Bösen, der Moral pur
angekommen. Das ist der Zusammenhang: Wir sollen das ganze also
andersherum sehen. Wir sollen hinten anfangen. Wir sollen tatsächlich
glauben, der Grund für das amerikanische Vorgehen sei die Moral
des Guten, die Werte, die Freiheit, die Zivilisation. Das sollen
wir glauben! Und wir sollen glauben: Ja, wenn das Gute der
Ausgangspunkt der US-Politik ist, dann haben sie auch das Recht
zum Kriegführen! Da kann ihnen doch keiner widersprechen. Und
wenn der Ausgangspunkt so gut ist, dann heiligt das natürlich
auch die Mittel, und seien sie noch so brutal. Und welche Mittel
im Augenblick benutzt werden, das kann man der Tageszeitung
entnehmen, denn es wird ja nichts verschwiegen! Muss ja auch gar
nicht. Offensichtlich ist man sich im Klaren darüber, dass der
Zusammenhang bei der Mehrheit der Bürger so funktioniert. Da
muss nichts mehr verschwiegen werden. Denn in der Umkehrung
taucht das politische Interesse als Grund für das politische
Vorgehen eben überhaupt nicht mehr auf.
So wird die militärische Front durch das Errichten einer
moralischen Heimatfront ergänzt. Beide Fronten sollen
geschlossen werden, deswegen ist auch auf diese Abteilung der
Aufbereitung wahnsinnig viel Wert gelegt worden. Das Volk soll
halt - nicht nur geistig - mitmachen beim Kriegführen.
V.
Damit ist auch der zweite Widerspruch schon ein Stück weit
miterklärt. Worin besteht er? Einerseits wird Afghanistan mit
einem Bombenkrieg überzogen, der natürlich auch die Zivilbevölkerung
trifft. Andererseits werden über Afghanistan, wo auch immer,
Reisbeutel und Ähnliches abgeworfen. Zerstörung, Vernichtung
zum einen und von demselben Regime angebliche humanitäre Hilfe
zum anderen. Töten und Leben erhalten. Ja was denn nun? Wie
passt denn das zusammen? Erklärt ist das eigentlich durch den 1.
Widerspruch schon ziemlich. Denn einerseits fällt das Abwerfen
von Reisbeuteln natürlich unter die Abteilung "ideologische
Botschaft". Die Kehrseite zum Feindbild heißt nämlich
immer: Freundbild. Alle Afghanen, die da den Reis abfangen,
sollen sich folgende Botschaft zu Herzen nehmen - übrigens nicht
nur die Afghanen, sondern die ganze Welt soll aus diesen
Esspaketen den Schluss ziehen: "Das ist doch klar, wir, die
Werfer von Reis und Keksen, sind die Guten, und versorgen das
geschundene afghanische Volk - gegen das haben wir ja auch gar
nichts - mit Nahrungsmitteln, während die Regierung das Volk
verhungern lässt. Das merkt euch gefälligst!" Das ist
nichts anderes als die Unterstreichung der Botschaft "Wir
gut, die böse" an die Welt einerseits, und an das
afghanische Volk andererseits; ein Akt, um die Amerikaner, die
Welt und die Afghanen von der Heiligkeit der Bomben zu überzeugen.
Einem guten Zweck dienen sie! Das sieht man doch an den
Reisbeuteln! Das ist die - in ihrem Zynismus kaum zu überbietende
- eine Seite.
Andererseits wird klar, dass mit jeder Kriegswoche die Zahl derer,
die da mit Reis ernährt werden soll, geringer wird, weil die ja
umgebracht werden. Sie sind ja Opfer dieses Krieges, ob es jetzt
Krankenhäuser sind oder Schulen oder ganze Dörfer - auf jeden
Fall fallen sie hierzulande unter die Kategorie Kollateralschäden.
Man kann daraus einen Schluss ziehen, der liegt wirklich auf der
Hand und ist nicht schwer zu ziehen: Es ist 100%ig sicher, dass
es bei dem Reis, den Lebensmittelabwürfen nicht um die
Versorgung der afghanischen Bevölkerung geht. Den Schluss kann
man auf jeden Fall ziehen. Dafür ist die ganze Aktion "Bomben
und Reis" eben doch zu ekelhaft. Übrigens: weder die
Lebensmittelmenge noch die Art und Weise der Verteilung unters
Volk sind auf Versorgung berechnet. Die Pakete stehen folglich
nur für eine weitere Demonstration. Und die ist jetzt in erster
Linie an das afghanische Volk gerichtet: "Hergehört,
afghanisches Volk, wir werden eure Führung, die Taliban-Regierung
so oder so vernichten ( man redet ja auch gar nicht mehr drüber
wie, sondern was danach kommt). Ihr, das Volk, habt euch also zu
entscheiden. Seid ihr für die Taliban-Regierung oder seid ihr für
uns." Und um den Afghanen diese Entscheidung zu erleichtern,
gibt es halt neben Bomben und Raketen diese Päckchen mit Flugblättern,
Radios damit man Kriegspropaganda hören kann und dann eben Reis.
Aber jeder Reissack steht eben - und das bezeugen gerade die
Flugblätter und die Radios - nur für das eine: "Merkt es
euch gefälligst, wir sind die Guten, eure staatliche Regierung,
die Taliban, sind die Bösen, mit denen seid ihr verloren, also
stützt sie nicht, sondern haltet euch zurück in diesem Krieg,
dann könnt ihr mit amerikanischer Hilfe rechnen." Schöne
Hilfe kann man da nur sagen. Psychologische Kriegsführung
triffts wohl besser.
Der Widerspruch passt also so zusammen, dass Volk und Führung
entzweit werden sollen. Da soll ein Keil zwischen Volk und Führung
getrieben werden. Die Führung wird zu diesem Zweck
zusammengebombt, das Volk kriegt Päckchen und Bomben. Folglich
soll auch niemand erzählen, dass die Bomben als Kollateralschäden,
also ernsthaft als versehentliche Nebenwirkung verbucht werden.
Denn Opfer in der Zivilbevölkerung sind gewollt. Sie zeigen nur,
wie ernst es den USA mit der Alternative ist, die sie dem
afghanischen Volk dort aufmachen: "Wenn ihr zu der Taliban-Führung
haltet, dann seid ihr genauso dran wie die." Das Urteil:
"Gegen das afghanische Volk haben wir nichts!", ist
also so gar nicht zutreffend. Das zeigen, die durchaus in Kauf
genommenen, wenn nicht sogar intendierten Bomben auf zivile Ziele.
"Gegen das afghanische Volk haben wir nichts!", gilt überhaupt
nur unter einer Bedingung, und die ist der Witz an der ganzen
Sache und heisst: Wir haben nichts gegen das afghanische Volk,
solange es sich nicht zu ihrer fundamentalistischen Staatsführung
hält. Wenn doch, dann fällt sie bei uns unter dieselbe
Feindschaftserklärung mit der wir die Taliban-Regierung überziehen.
Übrigens, es kann einem an dieser Stelle durchaus mal auffallen,
was Bin Laden in einem seiner Videos zu dem Anschlag selber
gesagt hat. Er hat dasselbe gesagt, nämlich: "Wenn ich im
Krieg bin mit Amerika, und so sehe ich das, dann sind alle
amerikanischen Bürger, die hinter dem amerikanischen Staat
stehen, genauso meine Feinde wie die amerikanische Regierung."
So sehen die Staaten oder deren Führer in Kriegen das Verhältnis
Staat und Volk. Wenn sie sich gegen die Führung aufstellen, dann
kann man darüber reden, wie es mit ihnen weitergeht, wenn nicht
dann nicht. Und in dem Fall hat die indische Schriftstellerin Roy
recht. Das ist das identische Denken, das kommt nicht aus der
Menschennatur sondern aus den politischen Interessen kriegführender
Parteien der Staatenwelt. Soweit zum zweiten Widerspruch.
VI.
Bleiben wir einen Moment bei dem Feind, den die USA sich
ausgesucht haben. Ich habe gesagt, da müsste einem eigentlich
folgender - dritter - Widerspruch auffallen. Dieser Widerspruch
besteht darin, einerseits ständig in der Religion des Islam, die
Quelle, den Grund des Terrorismus zu entdecken. Auf der anderen
Seite aber sich aber praktisch und theoretisch von diesem Urteil
zu distanzieren und Moscheen zu besuchen und zu sagen die Islamis
sind doch nicht alle Fundamentalisten. Wobei natürlich allein
schon dieser Spruch: "Die Islamis sind doch nicht alle
Fundamentalisten!" sehr geständig ist. Da ist die ganze
Verdachtshaltung gegenüber der Religion. Da wird gerade mit dem
Verweis auf das friedliche Zusammenleben dem Verdacht Raum
gegeben, die Menschen könnten unter Umständen aus der Religion
einen anderen Schluss ziehen, als es von einem der westlichen
Staaten gewollt ist.
Klären wir mal den Widerspruch mal drüber auf, dass wir uns
fragen, wie es eigentlich mit der religiösen Motivation der
beiden Kriegsparteien aussieht. Einerseits den USA und
andrerseits den Taliban und der Al Quaida. Da fällt als erstes
auf, dass sich beide Seiten auf einen Gott berufen. Dass der Gott
nicht identisch ist, weiß man. Die Amerikaner sagen, dass ihr
Selbstverteidigungsrecht ihnen von Gott verliehen wurde. Amerika
ist nämlich "god's own country". Die Al Quaida und die
Taliban sagen, alles was wir machen, ist die politische Umsetzung
der Lehre des Koran. Also von unserem Gott Allah höchstselbst
befohlen. Bush meint also auch, einen Gott auf seiner Seite
zuhaben - genauso wie die andere Seite. Darin sind sich beide
Seiten offensichtlich wohl sehr ähnlich. Beide meinen, sie müssten
sich auf ein höheres jenseitiges Wesen beziehen, um ihren Krieg,
um ihre terroristischen Aktionen auszugestalten. Aber eins habe
nich auch schon gesagt. Bei aller Identität - wir wissen, wo bei
Bush die Berufung auf Gott angesiedelt ist, nämlich ganz "hinten",
dort, wo dem politischen Interesse die höchste Weihe verliehen
wird, beim Feindbild. Bei Bin Laden ist das ein bisschen anders.
Bevor ich das kurz anspreche, muss allerdings noch ein Schluss
gezogen werden, zu dem was ich eben gesagt habe. Wenn
offensichtlich mit der Berufung auf Religionen Kriege zu führen
sind, wenn die Religionsführer nicht nur im Mittelalter sondern
heute das nicht nur mit sich machen lassen, sondern voll
dahinterstehen - das reicht von der Entwicklung ganzer
Staatsprogramme mit religiösem Inhalt bis zur Absegnung von
Kanonen -, dann muss man daraus den Schluss ziehen, dass diese Überhöhung
nationaler Interessen im Namen eines Gottes, der dann auch alle
Opfer gutheißt, die im Krieg anfallen, offensichtlich als Keim
in allen Religionen drinsteckt. Meine Behauptung heißt: Das, was
dem Islam als Fanatismus angerechnet wird, die terroristischen
Aktivitäten, ist keine besondere Eigenschaft dieser einen
Religion, des Islam, sondern ist im Keim in jeder Religion
enthalten. Immer wird die Religion herangezogen und lässt sich
heranziehen, letzte Opfer zu fordern und zu segnen. Und wie Sie
vielleicht wissen, ist die Sache mit den Märtyrern keine
Erfindung des Islam, sondern des Christentums. Die Abstraktion
die in jeder Religion verlangt wird, man hat von sich und seinen
irdischen Interessen und seinem irdischen Willen abzusehen, man
hat sich geistig auf das Jenseitige einzustellen, das ist die
Grundlage dieses Fanatismus, der jeder Religion zu eigen ist, mit
der jede Religion instrumentalisiert werden kann zur Absegnung
von Krieg und anderem brutalem Zeug. Das ist bei Christen und
Juden so, das ist bei Buddhisten und Muslimen so und bei allen
anderen Religionen auch.
Das ist bei der Berufung von Bin Laden auf seinen Gott nicht
anders. Auch er benützt diese Berufung. Allerdings ein bisschen
anders als der US-Imperialismus, der mit der verlogenen Beweihräucherung
der eigentlichen Kriegszwecke Volkspropaganda betreibt. Bin Laden
und andere muslemische Fundamentalisten, seine Al Quaida, alle
anderen fundamentalistischen Organisationen und Staaten haben den
Ausgangspunkt ihrer gesamten politischen Konzeption, einen
umfassenden islamischen Staat zu gründen, tatsächlich in ihrer
religiösen Motivation. Die fällt bei ihnen mit dem politischen
Anliegen, einen reinen islamischen Staat oder einen reinen
islamischen Staatenbund zu gründen, der nach innen und nach außen
nur die Gesetze des Korans verfolgt, zusammen. Ihr politisches
Ziel ist der islamische Gottesstaat. Ihr Ziel ist nicht, sich in
eine Klause zurückzuziehen und als Mönch das eigene private
Leben "dem da oben" zu widmen. Ihr Ziel ist auch nicht
die Errichtung einer weltlichen Herrschaft mit dem Islam als der
Politik dienenden Staatsreligion. Sondern sie wollen ihren
Glauben zur Grundlage des Staates machen, also zur Ausübung von
Herrschaft über Leute machen, die gefragt oder nicht gefragt,
mitmachen müssen. Das per Video geäußerte Anliegen von Bin
Laden und seiner Al Quaida, aus dem ja überhaupt kein Hehl
gemacht wird, entspricht diesem Programm: Die Ungläubigen, die
Heiden, die Kreuzfahrer, vor allem die Amerikaner, haben den
heiligen islamischen Boden zu verlassen. "Haut ab, dann
geben wir Ruhe!", wäre eigentlich kurzgefasst ihre
Botschaft. (Die natürlich für die USA nicht in Frage kommt.
Warum nicht? Klar, die haben ja ihre imperialen Gründe, nicht
zuletzt diese Weltgegend dort als ihr berechtigtes
Zugriffsterritorium zu behandeln.) Das politische Interesse der
Fundamentalisten heisst also Staatsgründung im Namen Gottes. Die
fangen tatsächlich an und machen ihren Glauben zum Grund ihrer
politischen Ambition. Die machen wirklich die Verrücktheit und
erklären Moral und nicht das, was der Imperialismus so an
handfesten politischen, territorialen, ökonomischen usw.
Interessen hat zum Grund für Staatsgründungen.
Der Schluss, den man daraus ziehen kann, heißt: Was der Westen
als religiösen Fanatismus bezeichnet, was der Westen mit
Missbrauch von Religion gleichsetzt, dass begründet sich weder
allein aus dem Islam noch hat es etwas mit Mißbrauch von
Religion zu tun. Zum einen handelt es sich um gute Glaubenssitte
in allen Religionen, im Namen des Allerheiligsten Menschen
abzuschlachten und sich abschlachten zu lassen; und zum anderen
wird hier Religion nicht miß-, sondern ganz funktional gebraucht.
Wozu ist sie denn sonst da, als dazu, dem irdischen Leben einen höheren
Sinn zu verleihen. Als Mißbrauch gilt im Westen der islamische
Fundamentalismus, weil er sich gegen das hier eingerichtete Verhältnis
von Politik und Religion vergeht. Wo sich Religion nicht loyal
dem bürgerlichen Staatszweck unterwirft, in dem Fall der
Supermacht USA, da gelten die Anhänger einundderselben Religion
als Fundamentalisten. Wo sie sich dagegen unterordnen, wie
Christen und Muslime hier, wo ihre ganze Existenz auf einer mehr
oder weniger unkritischen Loyalität zum Staat basiert, da ist
nichts mit "-ismus" , da ist nichts mit Fanatismus, mit
Islamismus, da sind die Islamis angesehene Bürger, die mit
Christen gut zusammenleben können/sollen. Missbrauch wird da
nicht betrieben. Das ist der ganze Zusammenhang.
Es wird also unter dem Stichwort Fanatismus, Missbrauch des Islam,
nur eingeklagt, dass sich Religionen - christliche, jüdische,
buddhistische, muslimische usw.- gefälligst dem im 21.
Jahrhundert in den westlichen Zivilisationen eingerichteten Verhältnis
von Religion und Staat zu unterwerfen haben. Religion ist dann
funktional und eine der Abteilungen der Moral, die für die
Verhimmelung der irdischen Zwecke der Politik zu sorgen hat.
Manchmal ein bisschen kritisch, manchmal auch unkritisch,
meistens im Prinzip unkritisch. So löst sich dieser Widerspruch
auf.
VII.
Jetzt noch etwas zu dem - siebten - Widerspruch, dem der Inneren
Sicherheit. Die anderen muß ich erst einmal auslassen. Ich habe
vorhin gesagt, die Innere Sicherheit bzw. Minister Schily
verspricht Schutz der Bürger vor dem religiösen Fanatismus, der
sich als terroristische Aktion äußert. Hierzulande sollen also
die Sicherheitsmaßnahmen die Bürger vor Terrorismus schützen;
dass aber mit dem Widerspruch, dass diejenigen, die geschützt
werden sollen, bei fast jeder Maßnahme selbst als Verdächtige
behandelt werden. Was ist da los?
Zunächst einmal zu der Behauptung von Schily, Beckstein und Co.,
dass der Schutz den Bürgern git. Der erste Punkt ist aus zwei Gründen
albern, denn wenn es wirklich um den Bürgerschutz ginge, dann wüsste
ich sofort, was die Regierung tun müsste. Die rot-grüne
Regierung müsste sich aus der amerikanisch geführten Allianz
gegen den Terrorismus heraushalten und dem US-Imperialismus nebst
dem europäischen den Rückzug aus den islamischen Staaten
nahelegen. Was stellt denn die Gefahr für hiesige Bürger dar?
Schily hat's gesagt. Im Augenblick, sagt er, sind wir nicht gefährdet;
aber wenn wir uns - uneingeschränkte Solidarität haben wir
versprochen - in die außenpolitischen Aktionen einklinken, sind
wir nicht mehr ungefährdet bzw. kann man nicht mehr sagen, dass
wir ungefährdet wären. Also diejenigen, die den Bürgern die
Gefährdung überhaupt erst einbrocken bzw. durch das bisherige
Wirken auf dem Globus eingebrockt haben, sind zugleich diejenigen,
die versprechen, die Bürger vor ihr zu schützen. Da kann
irgendetwas nicht stimmen.
Ich lasse es mal jetzt bei diesem einem Punkt, der ist mir
sowieso der wichtigste. Die Schutzmacht, die Macht, die sich
selbst zum Schutz der Bürger erklärt, also der hiesige Staat
mit seinem Innenminister, ist gerade durch die bisher betriebene
und jetzt angekündigte Außenpolitik die Quelle der Gefahr für
die Bürger. Und wenn man sich anschaut, was Schröder dem
pakistanischen Staatspräsidenten bei seinem jüngsten Besuch
erklärt hat, nämlich dass der nicht erwarten könne, dass er
bei Bush für eine Unterbrechung der Bombenangriffe vorstellig
wird, dann ist klar, dass es um den Bürgerschutz nicht geht.
Kriegsgeil wie noch kein deutscher Regierungschef nach 1945 hat
dieser sozialdemokratische Chef einer rot-grünen Regierung sogar
gefordert: weiterbomben, weiterbomben!
Aber um was geht es dann? Meine Behauptung heisst, es geht denen
im ersten und im zweiten Sicherheitspaket nur darum, die innere
Front gegen den Terrorismus so abzusichern, dass Störungen, also
tatsächliche terroristische Anschläge im Innern ihre
Beteiligung an der äußeren Front der Terrorismusbekämpfung
nicht gefährden. Es geht also um den Schutz der Staatsinteressen,
nicht der Bürgerinteressen; Schutz des Staates vor Anschlägen,
die seine außenpolitische Handlungsfreiheit beschneiden könnten.
"Wenn wir es schaffen, den inneren Apparat so vollständig
unter Kontrolle zu haben, dass wir hier jede terroristische
Aktivität im Keim ersticken (das ist ein Ideal und ich will mich
gar nicht darüber auslassen, ob das geht oder nicht geht, das
ist auch gar nicht meine Sorge), nur dann haben wir das Volk
hinter uns, wenn wir uns auswärts am Schießen und Töten
beteiligen." Das ist der ganze Witz, das ist die ganze Logik
die den beiden Sicherheitspaketen zugrunde liegt. Möglichst
vollständige Kontrolle all dessen, was an Regungen im Innern läuft,
damit nicht durch Nachlässigkeiten der Kontrolle Schädigungen
eintreten - die natürlich auch Bürger treffen -, die zu einer
neuen außenpolitischen Kalkulation nötigen, die die Beteiligung
Deutschlands an der Allianz gegen den Terrorismus in ein neues
Licht setzen. Das meine ich, ist der Punkt. Dieses politische
Ideal versuchen sie durchzusetzen: Möglichst alles im Innern
unter Kontrolle zu haben, dass ihnen keine terroristische Aktivität
entgeht, die ihre innen- und außenpolitische Handlungsfreiheit
beschneidet. Oder positiv formuliert: ein Staatschutz neuer Güte
wird aufgezogen, der im Innern jene totale Kontrolle anstrebt,
die sich Schröder und Co. als Grundlage für deutsche Außenpolitik
wünschen.
Was das alles einschließt, dass kann man nicht nur an dem sehen,
was da auf den Weg gebracht wird, sondern auch an allen anderen
Sachen, die da angedacht wurden. Offensichtlich, und so klärt
sich der Widerspruch auf, ist der rechtstreue Bürger, der sich
an Recht und Gesetz hält, seit dem terroristischen Anschlag auf
Amerika, seit der Debatte über Schläfer, überhaupt gar keine
Garantie mehr für tatsächliche Rechtsicherheit des Verhaltens
der Bürger. Da gibt es welche, oder da werden welche vermutet,
die ausgerechnet unter dem Mantel der eingeforderten
Gesetzestreue terroristische Verbrechen vorbereiten. Der Staat
zieht die Konsequenz: "Ich muss jetzt über meine Untertanen
nicht nur wissen, ob sie rechtstreu sind (dass weiß er, dafür
hat er ja seine Register), sondern ich muss soviel wissen, dass
ich über ihre möglicherweise verbrecherische Gesinnung jenseits
einer rechtstreuen Fassade alles rauskriege." Das ist der
Standpunkt und zugleich der Verdacht. Jede rechtstreue Fassade
muss nun beargwöhnt werden, inwieweit hinter ihr nicht oder
inwieweit sie nicht nur die Tarnung einer verbrecherischen
Gesinnung also eines abweichenden, staatsfeindlichen Standpunktes
ist. Die muss beargwöhnt werden, obwohl der Staat genau weiß,
dass bei der absoluten Mehrheit der hiesigen Bevölkerung
Rechtstreue keine Fassade ist. Was er dafür wissen muss, ist
eine Form des sicherheitspolitischen Totalitarismus, also die
Bestätigung der These, dass nicht nur Demokraten, wie in der
Verbotskampagne gegen die NPD, nicht so recht wissen, wo die
Demokratie aufhört und wo der Faschismus anfängt. Und eine
zweite These, die ich in meinen letzten Büchern aufgestellt habe,
wird hier bestätigt, dass nämlich die Demokratie immer dann,
wenn sie so etwas wie einen inneren Notstand, also eine tatsächliche
oder prospektive Kriegssituation ausruft bzw. sich entsprechend
im Inneren darauf einstellt, in so einer Ausnahmesituation zu
faschistischen Methoden greift, also zu Methoden greift, die im
Faschismus das normale Staatsprogramm darstellen. Natürlich hält
jeder Demokrat so ein Urteil für pure Demagogie. Nicht weil er
den Sachverhalt bestreiten würden, sondern weil er felsenfest
davon überzeugt ist, dass Methoden von Adolf selig in den Händen
von Demokraten nur Gutes bewirken bzw. Schlechtes abwehren. Siehe
oben! Ich belasse es mal bei dieser These, den Rest kann man
nachlesen.
Das passiert im Augenblick. Der Staat traut der Gesinnung seiner
Bürger nicht mehr und legt deswegen alle Dienste zusammen. Er
kann der Handlung seiner Untertanen die gewünschte Gesinnung
nicht mehr entnehmen und organisiert deswegen jenseits der
Handlung die Kontrolle der politische Zuverlässigkeit des
Privatsubjekts. Das heißt, dass er sich der politischen
Gesinnung seiner Bürger getrennt von dessen Rechtstreue
vergewissern muss; was eine totalitärer Überschreitung der
Schranken ist, die sonst dem Privatsubjekt als seine funktionale
private Freiheit gewährt werden.
***
Ich fasse mal zusammen und komme deswegen auf meine Hauptthese
zurück: Gerade weil die USA zusammen mit den übrigen G7- und
Nato- Staaten ihren "way of life" den Kapitalismus, den
Weltmarkt beherrschen und die politisch-militärische Kontrolle
gegen jede Infragestellung absichern wollen, führen sie diesen
neuen kalten Krieg. Weil sie wollen, dass alles so bleibt, wie
sie es sich mittels eines Kalten Krieges, den sie gewonnen haben,
und mittels der zehn Jahre Imperialismus als verbliebene
Supermacht Numero 1 eingerichtet haben. Damit alles so bleibt,
wollen sie einiges ändern und ändern auch einiges. Sie
radikalisieren im Innern ihre Sicherheitspolitik, also die Maßstäbe,
die sie dann auch an die Loyalität der Bürger stellen; sie
verleihen der eigentlich immer schon präsenten Drohung an andere
Staaten eine ganz neue Wucht, indem sie an Afghanistan
exemplarisch vorführen, was mit Staaten passiert, die in den
Verdacht des Antiamerikanismus geraten und verpflichten damit die
übrige Staatenwelt in ihrer Außen- und Innenpolitik darauf,
alles unter das Verdikt Bekämpfung von Antiamerikanismus zu
stellen; egal ob diese eigentlich mit ihrem Staatswesen vernünftiges
oder unvernünftiges vorhat. Soweit erst mal der Teil 1.
Vielleicht kommen wir nachher noch zur Kritik der Kritiker.
Fragen und Diskussion
Was würden Sie denn an der Stelle von Bush machen?
Ich verweigere mich dieser Frage, und begründe auch warum. Wenn
man sich die Fragestellung und das Anliegen, was Sie mir hier
vortragen, vorstellt, ist das schon ein heißes Anliegen. Wir,
Sie genauso wie ich, müssen im Augenblick ohnmächtig mit
anschauen, was da die deutsche und die amerikanische Außenpolitik
treibt. Und wenn wir jetzt hier einen ordentlichen Rabbatz
dagegen machen würden, wüssten wir doch, was uns passiert. Das
ist abzulesen an den paar Leuten, die mal die Schnauze
aufgerissen haben in der Schule. Wir sind also im Augenblick tatsächlich
in einer ohnmächtigen Situation. Die machen, was sie wollen! Den
Krieg hat keiner der Bürger bestellt. Und sie berufen sich auch
noch darauf, dass wir sie dafür gewählt haben. Und jetzt
verlangen Sie von mir, dass ich mich in die Position des höchsten
Machthabers der Welt hineinbegebe, des höchsten Befehlshabers über
das größte Militärbündnis aller Zeiten. Das verlangen Sie
ernsthaft von mir? Diese Abstraktion von meiner eigenen Lage
verlangen Sie von mir? Das mache ich nicht mit.
Abgesehen davon: Die Position, von der ein Bush aus überhaupt
nur politisch argumentiert und befiehlt, ist die des obersten
Imperialismus, der halt nur dieses eine Ziel hat, die Rolle als
ungefährdete Supermacht auszubauen. Deshalb ist es purer
Idealismus, Gutgläubigkeit, wenn ich mir vorstelle, der könnte
eigentlich auch das Gegenteil von dem tun wollen, was er tut. Es
taugt nur dazu, seinen Frieden mit dem gerade Kritisierten zu
machen - und Ihre Frage zeigt, dass auch Sie unzufrieden sind - ,
wenn man sich zu Hause in den Schlaf wiegt mit dem Gedanken:
"Ach Gott, wäre der Bush doch ein ganz anderer Mensch, ein
Friedlicher vielleicht." Er ist eine Personifikation des
imperialistischen Interesses der USA. Und in dessen Rolle schlüpft
man nicht mal fiktiv.
Die Einbildung, da ginge immer was ganz anderes, als was die machen, ist gerade ein Beleg für das Reinfallen auf das Feindbild: "Eigentlich sind "wir" ja den Werten verpflichtet, und jetzt weichen "wir" davon ab. Also wenn ich an Bushs Stelle wäre , dann würde ich natürlich für Frieden sein, für Humanität, und was ich mir alles darunter vorstelle." Reingefallen auf die Morallüge.
Ich hab hier ein paar Bemerkungen und Fragen zu den
Begrifflichkeiten. Wenn ich so was höre wie Fundamentalismus
gleich Islamismus, dann wird mir schlecht, das stört mich.
Des weiteren existiert in der Behandlung der Taliban und Bin
Laden durch die USA meines Erachtens auch ein Widerspruch: Erst
Freund, dann Feind, wie erklärt sich das?
Und warum redest du beim Westen immer von der zivilisierten Welt,
ist der Rest der Welt etwa unzivilisiert?
OK. Den ersten Punkt können wir schnell erledigen. Ich dachte
deutlich gemacht zu haben, dass Fundamentalismus und Fanatismus,
auch Terrorismus keine spezifischen Eigenschaften des Islam sind,
weil der Fanatismus jeder Religion zu eigen ist. Das was die
amerikanische Außenpolitik im Augenblick macht, ist sich zu
bekennen zum Fundamentalismus ihrer Außenpolitik. Sie wollen das
Ideal der totalen Weltinnenpolitik, das sie haben, tatsächlich
wahrmachen. An dem Punkt können wir uns sofort einigen, das ist
für mich kein Problem.
Der zweite Punkt ist wichtiger: Die Frage weist auf einen
weiteren Widerspruch, da haben Sie vollkommen recht. Ausgerechnet
die Taliban und Bin Laden sind doch von der CIA gegen die Sowjets
großgemacht worden, mit Waffen ausgestattet und ausgebildet
worden usw. - und jetzt das. Ich hab neulich den Aufsatz eines
Politologen gelesen, eines Kollegen von mir. Der hat gesagt: die
Amerikaner wissen einfach nicht, was sie wollen. Eine total
chaotische Außenpolitik. Mal sind sie für die Taliban, mal
bilden sie den Bin Laden aus, mal sind sie dagegen. Der Mensch
ist zurecht Politologieprofessor, meine ich. Er hat sich nämlich
geweigert, der Sache theoretisch nachzusteigen und sich zu fragen:
Ja, wenn die Amerikaner mal so und mal so mit denselben
Bewegungen operieren, was ist denn dann bitteschön - zumal sich
die amerikanische Außenpolitik in ihrem Prinzip gar nicht geändert
hat und die Taliban sich ja auch nicht geändert haben. Was als
ist das Gemeinsame in den gegensätzlichen Stellungen der USA zu
den Taliban? Die Antwort ist ganz einfach. Mal passt der militärische
Widerstand den Amerikanern in ihr politisches Konzept, in dem
Fall in den des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion. Da haben
sie eine wunderbare Gemeinsamkeit entdeckt mit den Taliban, übrigens
mit allen islamischen Staaten, nämlich den Antikommunismus. Fast
jedes von Moslems beherrschte Land hat in seiner Geschichte das
große Metzeln gegen Kommunisten, linke Nationalisten und
Sozialrevolutionäre meist unter kräftiger Mithilfe der USA zu
verzeichnen gehabt. Das ist eine ganz veritable weltpolitische
Gemeinsamkeit zwischen diesen beiden Fundamentalisten. (Übrigens
genauso wie zwischen Demokratie und Faschismus; es waren und sind
beide auch Antikommunisten. )
Als die Sowjetunion, dieser Erzfeind im Kalten Krieg gefallen war,
erfolgreich beseitigt war, die Taliban nach einigen
Zwischenstationen die Herrschaft gegen andere islamische
Gruppierungen in Afghanistan übernommen haben, und dann dem
Amerikafeind Bin Laden Unterschlupf gewährt haben, da war ganz
klar: Da waren dieselben Bündnispartner im Kampf gegen den
Kommunismus nun die Feinde Nr. 1, weil Antiamerikaner. Derselbe
Standpunkt, wir benutzen die Bewegungen und Staaten gemäß
unseres Interesses. Wenn die Umstände sich ändern, dann ändert
sich die Politik ihnen gegenüber - glerade weil das US-Interesse
sich treubleibt. Da werden diese Bewegungen mal fallengelassen,
was auch heißt, dass sie immer mal wieder hochgeholt werden.
Deswegen haben wir doch die letzten 20 Jahre Schwierigkeiten
gehabt, weil wir gar nicht nachgekommen sind mit demHerrschaft
Umdenken. Sind das jetzt Freiheitskämpfer oder Terroristen? Z.B.
die UCK, ich weiß gar nicht, was sie jetzt im Augenblick sind:
Freiheitskämpfer oder Terroristen? Das verweist nur auf immer
denselben funktionalistischen Standpunkt der amerikanischen Außenpolitik.
Nun zu der anderen Frage: "zivilisiert". Warum man da
sich immer so viel schönes drunter vorstellt, gehört in die
Abteilung Moral. Verhimmelung politischer Interessen. Schönfärben.
Andererseits kann man auch an das Wort "Zivilisation" -
zivil, Zivilisiertheit - mal anders rangehen, und es aus der
Moralabteilung herausholen. Und mal fragen, was ist denn der
wirkliche Gehalt von Zivilisation, warum wird das Zivilleben so
gelobt, warum Zivilcourage so hoch gehandelt? Da will ich mal nur
einen Punkt sagen nur zum Nachdenken. Es macht mich immer stutzig,
wenn das Zivile gepriesen wird. Wenn die Negation zum Militärischen
als Eigenschaft des Menschen oder der Gesellschaft gepriesen wird.
Zivilcourage, genau dasselbe. D.h. immer, die Menschen sind
entwaffnet und zwar von einer Macht, der Staatsmacht. Die sind
zivil. Die haben nix mehr zu bestellen. Die haben eine Gewalt über
sich! Das ist immer einer der historischen sowie der aktuellen
Inhalte von "zivil". Es fällt ja auch z.B. der
Generalstreik nicht unter Zivilcourage, sondern Störung des
sozialen Friedens - es sei denn er findet beim feindlichen Staat
statt.
Mal eine Frage zum politischen Interesse, das hast du ja
relativ schwammig geschildert. Ich würde behaupten, dass man das
klarer benennen kann und zwar als Interesse nach billigem Öl
dort in der Region.
Dass Sie das, was ich über die amerikanische Außenpolitik
gesagt habe, für schwammig halten, liegt daran, dass Sie etwas
vermissen, was Sie für das primäre Interesse halten. Wenn ich
sage der Standpunkt Amerikas ist, alle haben sich unseren Maßstäben
in Außen- und Innenpolitik zu unterwerfen, und wenn man dann
sieht, wie das durchgesetzt wird, dann ist es ziemlich frech, das
schwammig zu nennen.
Ich will aber überhaupt nicht bestreiten, dass in der Region
Interesse an Öl von kleinen, größeren und großen Souveränen
existiert. Bloß bitte aufpassen, das Interesse an Öl ist gerade
nicht so klein wie sie es jetzt - unfreiwillig - machen. Dieses
Interesse an Öl heißt nicht, wir Amerikaner zusammen mit den übrigen
kapitalistischen Großnationen, die auf diese Energie angewiesen
sind, wollen, dass auf jeder Ölquelle da unten die amerikanische
Flagge ist. Wenn man das ökonomische Interesse ins Spiel bringt,
und da habe ich überhaupt nichts dagegen, dass ist nämlich
eines, dann muss man aber auch erkennen, dass da nicht Multis
unterwegs sind, also Esso, Shell oder BP, sondern dass da die
Staaten unterwegs sind, die ihre politische Aufgabe unter anderem
darin sehen, Öl als ein strategisches Gut langfristig zu sichern.
Und zwar als Zugriff auf die Souveräne vor Ort bzw. als
Sicherstellung gefügiger Herrschaft durch imperiale Gewalt. So
paßt es zu dem, was da momentan in Afghanistan passiert.
Da stimme ich dir zu, nur ich denke, dass das Problem ist,
dass nicht nur das Primat der amerikanischen Politik ist, sondern
des ganzen Westens und der Leute dort. Denn die müssten die
teureren Preise für das Öl zahlen und wollen das nicht...
Entschuldigung, aber das ist ökonomischer Quatsch, da sag ich
jetzt nichts zu, sondern empfehle allen den GegenStandpunkt zum
Öl. (Heft 1/01) Des weiteren hab ich vom amerikanischen oder
deutschen Volk sowieso nicht geredet. Ich rede zur Zeit nur vom
politischen Interesse von Staaten und was die für ihre
Lieblingsbürger, die kapitalistischen Betriebe, in der Welt so
alles sicherstellen
Die Amerikaner selbst terrorisieren doch die Menschheit und
wenn Europa in sich nicht so zerstritten wäre, könnte man den
USA gemeinsam entgegen treten.
Zum einen: Es ist ein bißchen eine Verharmlosung der
amerikanischen Politik, sie mit Terrorismus gleichzusetzen. Es wäre
richtig zu behaupten, dass Amerika vor keiner terroristischen
Aktivität zurückschreckt. Aber die USA sind keine Terroristen.
Nicht nur, weil ihre Politik von der Staatenwelt und dem
Sicherheitsrat weltweit als Recht anerkannt ist - was mehr die völkerrechtliche
Legitimation betrifft. Wichtiger ist: Die Anschläge verweisen
auf ein militärisch unschlagbares Amerika, das es geschafft hat,
die Welt der Staaten daran zu hindern, ihnen einen Krieg zu erklären,
so dass Bewegungen, Parteien, Völker und vielleicht sogar
Staaten selbst nur aus der Anonymität heraus zu
Kriegsersatzhandlungen unterhalb der offiziellen Kriegserklärung
greifen, und zwar mit "Waffen", mit denen kein Krieg zu
führen ist, mit denen nur terroristische Attentate gehen. Der
Terrorist bekennt sich in seinen Aktionen zu seiner eigenen
Ohnmacht gegenüber der amerikanischen Macht, auch wenn er das
vielleicht nicht so sehen mag. Aber der Anschlag steht für
nichts anderes als dafür, wie weit es Amerika gebracht hat,
Staaten auf der Welt einzuschüchtern.
Zu zweiten, zu Europa: Würde man es eigentlich gut finden, wenn
die europäischen Staaten eine noch eigenständigere homogene,
eine nicht von interner Konkurrenz gezeichnete Politik machen würden?
Anders gefragt: würde man es besonders schön finden, wenn jetzt
noch ein zweiter in sich geschlossener Imperialismus auf der Welt
dem von Amerika mehr Konkurrenz machen würde, als es Europa
schon tut? Das Projekt Europa ist ein bißchen was anderes, als
was Sie unterstellen. Schon wieder reingefallen auf - diesmal -
das Freundbild Europa: Hort des Friedens und Wohlfahrt.
Pustekuchen. Europa ist nicht in die Welt gerufen worden, um die
Europäer daran zu hindern, gegeneinander Krieg zu führen,
sondern um der Sonderrolle Amerikas erstens ökonomisch und
zweitens politisch Konkurrenz zu machen. Seit der Zerstörung der
Sowjetunion, seitdem Europa diesen Stand erreicht hat, ist in der
Zeitung ein Thema das Wichtigste: Wie steht der Euro zum Dollar.
Es ist nichts anderes als ein in der Währung festgemachter
Vergleich dieser beiden Großmächte, in dem Amerika mit seinen
uneingeschränkten Möglichkeiten des Dollar immer noch als
Sieger hervorgeht. Aber deshalb Partei für eine europäische
Variante desselben Imperialismus zu ergreifen, ist falsch. Was
hat man denn von einer Szenerie, in der zwei Imperialisten ein Kräftemessen
veranstalten, wo der Zweck darin besteht, die Reichtümer des
Rests der Welt sich unter den Nagel zu reißen, also dem
Konkurrenten vorzuenthalten, wo es darum geht, dass die Staaten
der Welt ihre Reichtümer eben mehr im Euro verdienen sollen als
im Dollar und bei dem Krieg als letzte Konsequenz inbegriffen ist?
Was ist nun von zu der innereuropäischen Konkurrenz zu sagen?
Bezieht man dieses sehr prinzipielle imperialistische
Gegeneinander auf die Konkurrenz in Europa, so fällt einem da
der Widerspruch von der "bedingungslosen Solidarität"
auf: Jeder dieser europäischen NATO-Staaten, Deutschland wie Großbritannien
wie Frankreich, erklärt dasselbe: Wir sind aus nationalen Gründen
bedingungslos für Amerika. Das ist zunächst eine Sache, die
nicht geht. Entweder man ist ganz einfach für sich oder man ist
für den Konkurrenzstaat. Diese Solidarität unterliegt also
einer Berechnung, die jeder europäische Staat für sich selbst
anstellt: sie pflegen untereinander ein Konkurrenzverhältnis,
weil sie innerhalb Europas in einem Verhältnis stehen, das in
seiner Hierarchie noch ungeklärt ist. Der deutsche Bundeskanzler
Schröder ist stinksauer darüber, dass seine Militärmittel
nicht so groß sind wie die, über die Blair verfügt. So ist es
übrigens das "Peinliche" an Schröders Äußerungen
von wegen, man muss das deutsche Volk darauf vorbereiten, wenn es
mal hart auf hart kommt, denn er kann diese Äußerungen nicht
mit einer solchen militärischen Wucht fundieren wie Großbritannien,
oder Amerika selbst, was er sehr gerne würde! Die Europäer
wollen also gar nicht aus der antiterroristischen Partnerschaft
raus - wie die Frage unterstellt -, weil sie dieselben Zwecke
verfolgen auf der Welt wie Amerika; was man dem Inhalt der
Moserei übereinander entnehmen kann. Sie wollen dasselbe wie
Amerika, aber natürlich nicht um den Preis der Aufgabe der
eigenen Souveränität, sondern immer in Konkurrenz um die Frage,
welcher europäische Nationalstaat hat was davon.
Die Behauptung ist also nicht gelogen, dass es eine
transatlantische Partnerschaft gibt, denn es sind die Wächter
des Kapitalismus und des Weltmarktgetriebes, die darin
zusammenstehen, den weltweiten Sieg des Kapitalismus zu sichern;
die aber in der Verteilung des Reichtums aber Konkurrenten sind.
Und auch dieses Verhältnis äußert sich in den gegenwärtigen
ungemütlichen Vorgängen.
Der Verschärfung der Inneren Sicherheit ist also die
Rechtfertigung der Beteiligung an der äußeren Front?
Ist jetzt der Kampf gegen den Terrorismus nicht nur die
Rechtfertigung für Maßnahmen, die eh schon längst geplant
waren?
Im zweiten Punkt stimme ich Ihnen im Prinzip zu, wenn ich Sie
richtig verstanden habe. Das betrifft einen Teil der Maßnahmen,
die jetzt in den neuen Sicherheitspaketen inbegriffen sind. Die
lagen schon immer in den Schubladen der Innenminister, woraus ich
einen Schluss ziehe: das gehört zur Profession von
Innenministern in demokratisch-kapitalistischen Staaten, immer
den Standpunkt der Ordnung, der gewaltsam nach innen
durchgesetzten Ordnung, als oberstes Ziel zu haben. Aber nicht
immer sind alle Maßnahmen, die sie vorschlagen, jeweils
politisch opportun. Das war ihr Übergang. Ja, jetzt haben die
Innenminister was doppeltes. Sie haben den politisch begründeten
Beschluss, Innere Sicherheitspolitik zu radikalisieren. Der Grund
ist die Terrorismusbekämpfung. Aber zugleich ist der Grund auch
Anlass dafür, lauter Sachen aus der Schublade zu ziehen, und
jetzt auf diese Art und Weise unwidersprochen durchgezogen werden.
Zum ersten Punkt: Da haben Sie mich missverstanden, oder ich hab
mich falsch ausgedrückt. Ich hab nicht behauptet, die
Sicherheitspolitik sei die Rechtfertigung für die Beteiligung an
der äußeren Front gegen den Terrorismus. Es ist nicht eine
ideologische Legitimationsabteilung. Nein, es ist wirklich eine
harte Geschichte. Sie wollen wirklich nicht, dass in Deutschland
terroristische Anschläge passieren, die dann zu einem Klima führen
würden, in der Bevölkerung oder auch in der Parteienlandschaft,
die es der deutschen Regierung schwieriger machen würde,
unbefangen, frei die Soldaten und die Waffen aus der Bundeswehr
in alle Welt zu verschicken. Sicherheit an der Heimatfront als
wirklich materielle Voraussetzung für Freiheit an der äußeren
Front. Und wenn da Bürger geschützt werden, geht es nie um den
Schutz von uns, sondern um den Schutz staatlicher Ambitionen. Der
Staat schützt sich ja selber. So habe ich das gemeint.
Ist der Terrorismus der neue Ersatzfeind für den Kommunismus?
In der Tat: Wenn Bush heute seinen Kalten Krieg mit seinen heißen
Abteilungen ausruft, wie wir dies gerade erleben, dann sagt er:
den ersten Feind für den Siegeszug des Kapitalismus weltweit,
den Kommunismus, haben wir geknackt. Jetzt macht sich ein neuer
Feind breit. Wir dachten schon, wir hätten freie Hand. Es ist
kein Feind, der sich als Staat oder Staatenbund aufrüstet und
gegen uns hinstellt, sondern der als nicht genau lokalisierbare
terroristische Aktivität bedroht. So gesehen, haben Sie recht.
Als sei mit dem Terrorismus eine neue dem Kommunismus gleich
Bedrohung in die Welt gesetzt worden. Sie sind in der Sache was
anderes, werden aber mit der Bezeichnung "Kalter Krieg"
so behandelt, und es wird genau dasselbe und noch bißchen mehr
von der Staatenwelt verlangt. Schließt euch zusammen gegen
diesen neuen, in ihren Worten dem früheren Feind adäquaten
Feind. Eine Differenz zum alten Kalten Krieg: Es gibt kaum noch
einen Staat, von dem Amerika sagt, der hätte aufgrund seiner
antiamerikanischen Staatsräson einen Grund sich der Anti-Terrorallianz
zu verweigern. Deswegen richtet sich der Appell, dabei
mitzumachen, auch an die ganze Welt. An Russland, an China,
Indien, Pakistan usw. usf..
Nur aufpassen "Ersatz"-Feind stimmt nicht. Die brauchen
nicht Feinde, das ist alberne Psychologie. Die schaffen sich mit
jedem ihrer weltweiten Siege neue Feinde - leider nur welche, die
ziemlich kongenial gestrickt sind.
Ich hab ein Problem mit der Wortwahl: Warum sagen Sie "Amerikaner",
wo Sie doch nur die USA meinen?
Zwei Sätze dazu. Der erste Satz: Übersetzen Sie bitte jedes Mal,
wenn mir "Amerika" rausrutscht, das Wort in "USA".
Zweitens: Wenn Sie das nicht längst selbst gemacht hätten, hätten
Sie mir die Frage gar nicht stellen können, denn Sie wissen,
dass ich immer die USA gemeint habe.
Vielleicht fühlt sich aber ein Lateinamerikaner damit
beleidigt.
Als ob deren Identität in der Bezeichnung liegt und nicht in dem,
was die USA und ihre mittel- und südamerikanischen
Handlangerstaaten mit ihnen anstellen. Wer durch das Wort
beleidigt ist, hat schon eine mittel- bzw. südamerikanische
Identität angenommen, es selbst zu einem Nationalismus und
Patriotismus gebracht. Sonst könnte man über so etwas nicht
beledigt sein.
Kann man schon.
Aufpassen, wie das geht. Ich hab erst gestern dieselbe Debatte an
der Uni gehabt. Da ist ein Kommilitone aus Mexiko aufgestanden
und hat genau das gesagt. "Ich bin auch Amerikaner, aber ich
bin Kritiker der USA." Und ich sage: "Was, du bist
Amerikaner? Das ist deine Identität?" Und der sagt: "Ja."
Dann haben wir über nationale Identität geredet. Ob er das
wirklich ist, was sein Staat mit ihm anstellt?
Ihr Vortrag gibt viele Denkanstösse, aber würden Sie mir
zustimmen, wenn ich behaupte, Sie beziehen lediglich Ihren
eigenen subjektiven Standpunkt in Ihrer Beurteilung des
amerikanischen Seelenlebens und sind nicht objektiv?
Dass ich meinen eigenen Standpunkt hier vortrage, ja, das ist
doch ganz klar! Ich hab mich bemüht, alle Argumente, aus denen
sich mein Standpunkt zusammensetzt, zu begründen. Ich hab nicht
gesagt: Mein Standpunkt ist.... und dann kommt eine Behauptung.
Denn sonst wäre ich in 5 Minuten fertig gewesen. Ich rede
deshalb so lange, weil ich größten Wert darauf lege, dass das,
was daran subjektiv ist - meine Gedanken eben -, eben nicht in
der unverbindlichen Subjektivität des bloßen Meinens verbleibt,
sondern immer begründet ist. Wir sollten unsere Diskussion jetzt
also auf einer ganz anderen Ebene fortsetzen. Sie müssten sagen:
Diese Argumente und jene waren einfach nicht begründet, die
waren nur behauptet, und solange sie nicht begründet sind, oder
mir die Begründung nicht einleuchtet, nehme ich ihnen das nicht
ab, das ist dann bloß ihr subjektiver Standpunkt. So müssten
wir jetzt eigentlich weitermachen.
Erstens eine Frage zur Parallelität zwischen Terrorismus und
Kommunismus, zweitens eine warnende Prognose voranschreitender
Beschränkung der Rechte angesichts der inneren Sicherheitslage.
Erster Punkt: Es gibt eine Parallelität im Feindbild Terrorismus
zum Feindbild Kommunismus. Das weiß jeder. Die Übersetzung in
die Märchensprache, auch beherrscht von den Führern der
westlichen Welt, hat in dem Fall nicht das Bild vom Wolf, sondern
vom russischen Bären, der auch nicht als Honigschlecker
vorgestellt wurde, sondern als Inbegriff unkalkulierbarer Gewalt,
die alles an sich reißen will. In Sachen Feindbild werden
dieselben Muster wieder ausgepackt. Das liegt freilich allein an
der Logik des Feindbildes selbst. Das Feindbild argumentiert
moralisch. Säkular mit Werten: gut/ böse, zivilisiert/
barbarisch, oder nicht säkular, dann kommt immer gleich der
Mensch als höheres Wesen oder so.
Ansonsten ist die Feindschaftserklärung z. B. gegen die
Sowjetunion eine etwas andere gewesen als die gegen den
Terrorismus, was man weiß. Vgl. das Wettrüsten und so weiter.
Wettrüsten mit dem Terrorismus geht nicht. Der Terrorismus ist
das Zeichen dafür, dass das Wettrüsten ein für alle mal
gewonnen worden ist für die USA/NATO. (Wie das mit China
aussieht, ist eine andere Sache.)
Zweiter Punkt: Der wäre eigentlich das Thema eines eigenen
Vortrags, und zwar weniger hinsichtlich der von mir erwarteten
Prognose, wann Bürger staatskritisch werden, denen jetzt Rechte
genommen werden. In einem solchen Vortrag interessiert weniger
die Prognose, als die Unterstellung in dieser Prognose. Ihre
Unterstellung heißt: Der erste Schritt zum Widerstand sei die
Erkenntnis, dass einem jetzt was genommen wird, was man sich
nicht nehmen lassen darf: Rechte. Da bin ich ganz anderer Meinung.
Das wäre wie gesagt ein eigenes Thema. Ich will das deshalb nur
kurz andeuten: Alle Rechte, die Bürger hierzulande "genießen",
umfassen solche Selbstverständlichkeiten wie seine Meinung zu
sagen, die Unversehrtheit der Person usw. Da frag ich mich, wieso
müssen alle diese Selbstverständlichkeiten immer von einer
Staatsgewalt als Rechte gewährt werden? Warum muss jemandem eine
Staatsgewalt erlauben, "du darfst", was doch für jeden
Menschen selbstverständlich sein müsste, z.B. zu leben und
seine Meinung zu sagen! Und das macht mich skeptisch. Wenn der
Staat sagt: "Du darfst", dann zieh ich einen Schluss,
dass der wohl mit der Erlaubnis etwas will. Wenn er mir was
erlaubt, dann will er nicht mir was Gutes tun, sondern durch
meine Praktizierung von Erlaubtem will er was für sich erreichen.
Was? Ich will das Beispiel zu Ende führen: Die berühmte
Meinungsfreiheit sollte man sich mal angewöhnen anders herum zu
lesen. Es handelt sich um das Gebot, es beim Meinen, es beim
Insistieren auf der puren unverbindlichen Subjektivität des
eigenen Gedankens zu belassen, und bloß nicht auf die Idee zu
kommen: Meine Meinung ist mir so wichtig, dass ich daraus
wirklich eine praktische Aktion mache. Da hat man dann schnell
die Grenze der Meinungsfreiheit, die der Staat festlegt, erreicht.
Also bei den Rechten aufpassen. Ob die immer so toll sind? Aber
das wäre ein eigener abendfüllender Vortrag.
TEIL B:
Wenns erst mal nichts weiter gibt, dann noch kurz zur Kritik der
Kritiker. Ich beziehe mich auf zwei Befunde, von denen ich meine,
dass sie bei der Kritik der neuen Friedensbewegung, der Kritik
von Globalisierungsgegnern, die vorherrschende Argumentationen zu
dem terroristischen Anschlag und zur Reaktion des amerikanischen
Imperialismus darstellen.
Der erste Befund betrifft ein Urteil über die amerikanische
Politik, vor allem die Außenpolitik. Es lautet in Kurzfassung:
Der Anschlag ist kein Wunder bei der Art wie Amerika auf der Welt
herumfuhrwerkt, Elend, Opfer, Armut und Unterdrückung produziert.
Da musste so etwas mal passieren. Nach dem Muster "Wer Wind
sät, wird Sturm ernten". Das ist das erste falsche
theoretische Urteil.
Das zweite bezieht sich nicht auf die Außenpolitik Amerikas,
sondern auf die Reaktion Amerikas auf die Anschläge, und da vor
allem aber auf die eingesetzten Mittel. Das ist das Lieblingsbetätigungsfeld
der neuen Friedensbewegung und von Attac. Die Logik geht so: Ja,
der Terrorismus muss bekämpft werden, aber bitte nicht so. Nicht
mit Gewalt, sondern mit Politik. Dafür stehen Parolen folgender
Art: "Hirn statt Gewalt". Das ganze wird auch noch
umgesetzt in einen konstruktiven Vorschlag von Attac, Bin Laden
soll vor einen internationalen Gerichtshof gestellt werden, damit
das Recht, das da verletzt ist, wieder hergestellt wird.
I.
Zu dem ersten Punkt: "So was kommt von so was!" - was
ja die Kurzfassung des Urteils ist, dass die USA, die seit mehr
als 50 Jahren Not, Elend und Tod auf der Welt produzieren, nun
selbst Opfer geworden sind. Es handelt sich um eine
Betrachtungsweise, die sich erst mal darauf beschränkt, Opfer
wechselseitig aufzurechnen. Hier Opfer der amerikanischen Politik,
dort Opfer in Amerika. Da wird so etwas wie eine
Opferausgleichswaage angelegt. Der Befund der angelegten Waage
lautet: Mit dem Anschlag ist die Welt wieder etwas gerechter
geworden, weil jetzt auch auf der Seite der Amerikaner Opfer
angefallen sind. Die Opferbilanz der Welt ist jetzt ein wenig
ausgeglichener. Das ist eine Tour, in der Opfer moralisch
gegeneinander aufgerechnet werden. Die Konsequenz der
wechselseitigen moralischen Aufrechnung der Opfer ist fatal. Der
Ausgangspunkt heißt, wer Opfer geworden ist, der darf selbst
Opfer produzieren. Wer Opfer ist, das ist die implizite
Gerechtigkeitsideologie, der darf Täter zu Opfer machen.
Doch was heißt denn das jetzt umgekehrt, wo in Amerika Opfer
anfallen? Wer so argumentiert, muss sich die Umkehrung der Logik
gefallen lassen. Die lautet: Dann muss es bitteschön auch
Amerika erlaubt sein, das jetzt selber zum Opfer geworden ist,
seinerseits erneut die Opferausgleichswaage anzulegen und erneut
die Täter zu Opfer zu machen. Wer also über diese
Gerechtigkeitsschiene argumentiert, der legitimiert eine sich
immer wieder umkehrende Täter-Opfer-Kette.
Von einer Erklärung keine Spur. Was da eigentlich Sache ist, ob
das Elend, das Amerika ohne Zweifel produziert, etwas mit dem
Anschlag zu tun hat, davon nimmt dieser Standpunkt keine Notiz.
Dabei kann man sich übrigens durchaus einmal ernsthaft die Frage
stellen, ob die Unterstellung stimmt, es waren Opfer Amerikas,
die hier zurückgeschlagen haben, es war die ausgeplünderte
Dritte Welt, die da zurückgeschlagen hat, stellvertretend durch
die Al Quaida und Bin Laden. Wenn man sich die Täter anschaut,
dann muß man jedoch feststellen, dass es gar nicht die Opfer der
weltweiten Ausbeutung, also die Opfer von Kapitalismus und
Weltmarkt waren, die zurückgeschlagen haben und zwar deshalb.
Zurückgeschlagen hat eine Abteilung des islamischen
Fundamentalismus, der mit dem Elend in der Welt sowieso nichts am
Hut hat. Wenn man sich islamische Regierungen anschaut, wenn man
sich die Taliban-Regierung anschaut, dann kann man eins mit tödlicher
Sicherheit feststellen: In deren Programm kommt nicht vor, das
Elend der Menschen zu beseitigen. Im Gegenteil: Nicht nur richten
sie ständig weiteres Elend in diesen Ländern an - Beispiele
sind in der Zeitung nachzulesen -, sondern sie haben systematisch
alle Bewegungen in ihren Staaten, die was für die materielle
Besserstellung von Menschen tun bzw. tun wollten, liquidiert. Der
Inhalt der Feindschaft gegen die USA basiert auf einem religiös
begründeten imperialistischen Alternativprogramm, das einen
Gottesstaat errichten und mit dem Fundamentalismus der Religion,
indem Fall des Islam, ernst machen will. Notbeseitigung wäre das
letzte, das diesen Regimes einfallen würde. Soweit zum ersten
Urteil.
Kann es denn nicht trotzdem so sein, dass der Islamismus
deshalb so erfolgreich ist, weil (!) er eine Art Elendsverwaltung
darstellt?
Nein, das kann nicht sein. Das "weil" kann nicht
stimmen. Denn aus Elend folgt nie im Leben, dass man noch größeres
Elend über sich ergehen lässt oder gar anrichtet. Aus Elend
folgt, wenn man es mal als Befund über die eigene Lage ernst
nimmt, die Abschaffung des Elends. Und dafür ist die Erkundigung
nach den Gründen des Elends der erste Schritt. Damit haben die
islamischen Fundamentalisten nichts im Sinn - ebensowenig übrigens
wie kapitalistischen Fundamentalisten.
Was ist mit den Diktaturen außer des Taliban-Regimes, die von
den USA unterstützt werden, also nicht bekämpft werden. Wie
erklärt sich das?
Wenn diese Diktaturen einen Beitrag zur amerikanischen
Weltordnung liefern, gelten diese Diktaturen, das ist ja kein
Geheimnis, als Regime, die immer "auf dem Weg zur Demokratie"
sind. Das ist nicht eine Frage des tatsächlichen
innenpolitischen Verhältnisses von Volk und Führung, sondern
eine Frage der imperialistischen Nutzenkalkulation der USA. Und
sonst nichts. Und das letzte, was Amerika interessiert, wenn es
die Räson eines Staates auf der Welt betrachtet, ist, ob die
Leute Hunger haben oder nicht. Ob der Staat, so wie er
beieinander ist, in das außenpolitische Konzept der USA, passt,
das interessiert - sonst nichts. Der Hunger kommt allenfalls mal
so rein, dass zuviel Hunger vielleicht eine schlechte Bedingung
dafür ist, das Volk bei der Stange zu halten. Aber selbst das
sind Maßstäbe, die gegenwärtig nur in ganz wenigen Staaten der
Welt zur Anwendung kommen.
II.
Das war also die erste Abteilung der friedensbewegten Kritik. Die
zweite Abteilung kritisiert die "Gegengewalt" der USA.
Die zweite Abteilung trägt sich als pazifistischer Standpunkt
vor. Und das Schicksal des pazifistischen Standpunkts besteht
immer darin, dass er nach einigen Zwischenschritten beim
Bellizismus endet. Das hat man ja an den Grünen studieren können.
Also: Gegengewalt ist die falsche Antwort, so lautet die Kritik
der zweiten Abteilung. Das heisst erstens, diejenigen die so
argumentieren, haben sich entschieden: sie sind von vornherein
parteilich für Amerika, parteilich gegen den Terrorismus. Das
ist der Ausgangspunkt ihrer Kritik: Sie bekräftigen das
allgemeine Urteil, dass der Terrorismus eine Antwort verdient hat.
Machen dabei aber eine Einschränkung: sie lehnen Gegengewalt ab.
Was unterstellen damit zum zweiten, dass die Getroffenen, die USA
das Subjekt sind, das die Antwort auf den Terrorismus erteilen
soll. Aber - und das ist dann das Zentrum der Kritik - die
Antwort, die die getroffenen Subjekte erteilen sollen, hat
gewaltlos zu sein. Eine politische Antwort ohne Gewalt wird
gefordert -und dies, obwohl den Getroffenen zugestanden wird,
dass die Gewalt Gegengewalt ist. Womit ja auch noch mal ausgedrückt
worden ist, dass sie der Gewalt selbst schon eine gewisse
Berechtigung zusprechen. Es ist ja Gegengewalt. Aber dennoch
sagen sie, Gewalt wollen wir nicht. Und zwar wegen der
Gewaltspirale.
Die Kritik kommt also daher wie eine konstruktive Warnung an die
politischen Macher der Welt, wie eine Einmischung in die Frage
der Methoden der Terrorbekämpfung - gerichtet an die Adresse der
imperialistischen Mächte. Die Kritiker, die so daherreden, haben
kein Problem damit, sich in die Lage von Regierungschefs und
Verteidigungsminister zu versetzen. Das heisst, wir haben es
wieder einmal mit einer Sorte von Kritik zu tun, die - wie oben
aufgezeigt - einen hohen Grad an Wirklichkeitsverlust aufweist,
eine idealistische Betrachtung darstellt. Dieses Urteil traut den
Führern der Weltmächte glatt das Gegenteil vom zu, was sie
jetzt machen und offenkundig machen wollen. Das ist schon ein
bisschen komisch: Da überziehen die USA und Co. Afghanistan mit
einem Krieg und bedrohen damit zugleich alle anderen Staaten der
Region, konfrontieren sie mit einer neuen Qualität von Bedrohung,
die exemplarisch vorgemacht wird, und an der kein Zweifel besteht,
dass sie auch umgesetzt wird, und da haben die Friedensbewegung
oder Attac nichts besseres zu tun, als warnend den Zeigefinger zu
heben und den Mächten, das Mittel ihrer vorzuhalten, dass sie
als das für sie in der Lage wirksamste gefunden haben: "Gewalt
gegen Gewalt, das bringt doch nur mehr Unfrieden in die Welt."
Wie kommen diese neuen Friedensbewegten eigentlich auf Idee, dass
die USA und Co. eigentlich etwas ganz anderes vorhätten, als das,
was sie machen. Die Behauptung in diesem fiktiven Dialog heisst:
Die hätten eigentlich nur Frieden und Hilfe im Sinn, machen würden
sie aber was anderes. Das ist die Verwandlung all dessen was die
USA und die EU anstellen, in eine Abweichung von dem, was ihnen
als ihr eigentlichen Zweck unterstellt wird. Da wird gesagt:
Merkt ihr denn nicht, dass Gewalt nur mehr Hunger und Not bringt?
Wo bleibt denn da die Zivilisation, wo bleibt denn da der
Humanismus, wo bleiben denn da die Menschenrechte?
Diese idealistische Sichtweise fällt auf alle Propagandalügen
von Feind- und Freundbildern herein. Sie nimmt die moralische
Selbstdarstellung für die Wahrheit über die Politik. So kommen
Kritiker auf die Idee, den Imperialisten einfach nie das als
willentlich beschlossene Politik abzunehmen, was sie machen. Also
das ist Selbstbetrug, das ist Reinfallen auf die Abteilungen von
Volksverdummung.
Jetzt ist hochinteressant, wie die Politiker auf diese
Vorhaltungen, sie würden nur die Gewaltspirale neu ankurbeln,
reagieren. Wie gehen die damit um? Also erstens muss man sagen,
dass die Politiker hierzulande von diesem Dialog ziemlich angetan
sind. Den können die Fischer und Schröder aufnehmen, weil er am
verlogenen Ende ihrer Politik anfängt und es für bare Münze
nimmt. Und wie antworten die Politiker? Sie weisen zweitens die
Kritik zurück: Sie sagen, natürlich verfolgen wir mit unserem
Krieg humanitäre Ziele - wie auch schon im Kosovo-Krieg. Aber
wie sollen wir denn - so ungefähr Fischer - ohne gezielte Militärschläge
den Weg für Hilfeleistungen nach Afghanistan freimachen? Damit
sind beim Bellizismus gelandet: Krieg als Mittel für Humanismus
und Frieden. Das ist die Antwort der Politik und genau diese
Antwort haben Friedensbewegte und Attac verdient. Dort steht dann
endgültig alles auf dem Kopf:Krieg wird doch glatt als Mittel für
sein Gegenteil verkauft. Dass sich Friedensbewegte auf diesen
Punkt einlassen, ist schon ein kleines geistiges Verbrechen.
Den beiden Abteilungen der Kritik, die ich jetzt kurz
angesprochen habe, ist überdies eines gemeinsam: Immer wenden
sie sich allein kritisch an die Adresse Amerikas. Deutschland,
immerhin der Bündnispartner Amerikas in der Antiterror-Allianz,
wird entweder ganz rausgelassen oder es wird Deutschland nur
vorgeworfen wird, seine mäßigende Rolle gegenüber Amerika
nicht genügend wahrzunehmen. Der Heimat die gewollte Beteiligung
an all den Schweinereien vorzuhalten, das kommt für diese
kritischen Deutschen irgendwie nicht in Frage.
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