F.Huisken

 

Münteferings Kapitalistenschelte:

 

Das Märchen von den guten und den bösen Kapitalisten

 

1.

 

Der Vorsitzende jener Partei, die seit Regierungsantritt unter Führung des “Kanzlers der Bosse” nur ein Ziel kennt, nämlich den Kapitalstandort Deutschland weltweit konkurrenzfähig zu machen, die sich dabei in ihrer politischen Praxis von dem Urteil hat leiten lassen, dass die hiesige Arbeiterschaft einfach zu teuer für die deutsche Wirtschaft ist, die deswegen dem Kapital die Lohnnebenkosten gekürzt und für die Bezahlung sozialer Leistungen den Nettolohn zusätzlich in die Pflicht genommen, die ihren Beitrag zur Senkung der Lohnhauptkosten geleistet, die dem Kapital mit Steuererleichterungen, Billiglohnsektoren und Freiheiten beim Ein- und Ausstellen die Anlage auf dem deutschen Standort attraktiv gemacht, die die Gewerkschaften mit einigem Druck auf ihre Wirtschaftspolitik verpflichtet hat usw., ausgerechnet der Vorsitzende dieser Partei, Franz Müntefering, beginnt eine Kapitalismuskritik. Nicht nur das: Diese Kritik wird einige Zeit zum beherrschenden Thema in Politik und Öffentlichkeit, in der Müntefering ebenso Beifall – etwa für seinen „Mut“ - wie Widerspruch – wegen „ungerechter Verteufelung der Marktwirtschaft“ und falschem Tonfall -  erntet und die in eine “Kapitalismus-Debatte” mündet. Die befasst sich vornehmlich mit der Frage, ob denn dieser Sozialdemokrat den Kapitalismus überhaupt bzw. so kritisieren darf, wie er es getan hat, nämlich mit drastischen Vergleichen aus der Fauna, Abteilung Insekten, Unterabteilung Saltatoria.

 

Der Eklat der Rede, die Erregung in der Debatte, die Leidenschaft, mit der sie in der Zeitung immer noch geführt wird, - als ob allein mit der Benutzung des Unworts “Kapitalismus” Staat, Wirtschaft und Gesellschaft in Ordnung zu bringen seien - könnten glatt die Frage nahe legen, ob “Münti” etwa die Systemfrage aufgemacht hat und das ganze hiesige Wirtschaftssystem in Frage stellen will, ob er von seiner Regierung eine Kehrtwende in der Wirtschaftspolitik fordert und das SPD-Programm neu schreiben möchte; ob er mit den Kapitalbossen brechen, die Lohnarbeiter zum Klassenkampf auffordern und den Gewerkschaften wieder zur “Gegenmacht” verhelfen will. Gemach, gemach! Vom Kapitalismus reden einige versprengte Linke schon seit geraumer Zeit, ohne je diese Sorte von Aufregung erzeugt zu haben. Man muss also erstens schon Vorsitzender der zweitgrößten und um das Wohl der deutschen Wirtschaft äußerst besorgten Volkspartei sein und zweitens sein Publikum mit so einer Rede kalt erwischen, sprich: völlig unerwartete und scheinbar völlig unpassende Töne von sich geben, um derart in die Schlagzeilen zu geraten. Anders gesagt: Gerade weil sich jedermann absolut im Klaren darüber ist, dass Münteferings Kapitalismuskritik nicht die Aufkündigung jener Wirtschaftsweise ist, mit der Deutschland immerhin wieder imperiale Weltgeltung erlangt hat, gibt es diese Aufregung und hat sie inzwischen nur ein Thema: Darf der das? 

2.

 

Kein Wunder, dass in der ganzen “Kapitalismus-Debatte” eines fehlt: Die Befassung mit der Frage, was der rotbeschalte Franz, den die Genossen erst kürzlich zwecks publikumsnaher Volksbetreuung in das höchste Parteiamt gewählt haben, eigentlich kritisiert hat. Die Frage könnte deswegen von einiger Bedeutung sein, weil es neben zutreffender vor allem jede Menge falscher Kritik am Kapitalismus gibt. Münteferings Schelte gehört, wer hätte das gedacht, zur zweiten Abteilung. Und für diese falsche Sicht der auf Privateigentum gegründeten, von der Staatsmacht abgesicherten, den Zweck der Gewinnvermehrung – “bei Strafe ihres Untergangs” (K.Marx) - verfolgenden, dafür die lohnabhängigen Volksteile systematisch verarmenden Ökonomie, macht Müntefering ordentlich Werbung:

 

Er wirft kapitalistischen Unternehmen nämlich vor, ihrer Verantwortung, Arbeitsplätze zu schaffen, nicht nachzukommen. Das ist der zentrale Kern seiner Kapitalistenschelte. Dem kapitalistischem Eigentum attestiert er zunächst einen Zweck bzw. Auftrag, den dieses einfach nicht hat, um dann zu konstatieren, dass die Kapitalisten sich einfach nicht an seine Erledigung machen. So als sei es das Selbstverständlichste von der Welt, erklärt er den Wirtschaftsbossen, dass es ihr Job sei, neue Arbeitsplätze einzurichten. “Arbeitgeber” sind sie für ihn, die deswegen, weil sie die Herren über Arbeitsplätze sind, dann eben auch die Verantwortung dafür haben, Arbeitslosen Arbeit zu verschaffen. Der entscheidende kapitalistische Vorbehalt beim Arbeitgeben wird dabei vornehm übergangen: Kapitalisten schaffen nicht Arbeitsplätze, damit es sie gibt und damit arme Leute eine Einkommensquelle haben. Jeder eingerichtete und mit Lohnarbeitern besetzte Arbeitsplatz muss sich fürs Geschäft lohnen, muss so eingerichtet sein, dass aus  bezahlter Arbeit möglichst viel unbezahlte Arbeit herausgeholt werden kann. Nur dann gibt es Arbeitsplätze und dann gibt es genau so viele davon, wie es in die Kalkulation mit Kosten und Gewinn passt. Und wenn der Unternehmer von der Konkurrenz darüber belehrt  wird, dass an seinen Arbeitsplätze nicht rentabel gearbeitet wird, dann zieht er die Konsequenzen und rationalisiert, optimiert das Lohn-Leistungsverhältnis, entlässt oder macht alles zusammen. Die Verantwortung, die Kapitalisten besitzen und die ihr Management gelegentlich zu Höchstleistungen bei der Optimierung von Ausbeutung anstachelt, ist allein ihrem Interesse verpflichtet: Das Geschäft muss laufen und sich in der Konkurrenz behaupten. Jede andere Verantwortung lehnen kapitalistische Unternehmer als geschäftsschädlich ab. Sie übernehmen keine für die Tauglichkeit des von ihnen ausgezahlten Lohns, mit ihm eine Familie zu ernähren, und halten sich in der Frage, ob der Mensch ihre Fabrikarbeit überhaupt ein Arbeitsleben lang aushalten kann, für völlig unzuständig. Weder sehen sie sich in der Verantwortung, wenn ihre Warenberge nicht verkäuflich sind, andernorts Menschen hungern, weil sie sich das Zeug nicht kaufen können, noch bekommen sie Skrupel, wenn ihr Geschäft mit Waren, die ziemlich viel Tod und Elend produzieren, gerade deswegen so richtig brummt.

 

Freund Müntefering, der hier sein Meisterstück in Sachen falscher, moralischer Kapitalismuskritik abgeliefert hat, möchte dem Wahlvolk dagegen die Vorstellung vermitteln, dass der Kapitalismus, so wie er ihn gern hätte, von einer Art wechselseitiger Verpflichtungserklärung zwischen “dem Staat” und “der Wirtschaft” lebt und leben könnte: Die Wirtschaftspolitik ist dazu da, den Unternehmen günstige Geschäftsbedingungen auf dem nationalen Standort zu schaffen, und im Gegenzug verpflichten sich die Unternehmer zu Schaffung von Arbeitsplätzen. Dabei darf man, ja man soll sogar in dem Volksverarmungsprogramm der Agenda 2010 die Vorleistungen der rotgrünen Regierung entdecken und in den 5 Millionen Arbeitslosen die nicht erbrachte Gegenleistung der Kapitalisten. Dabei ist nichts alberner als diese Geschichte von dem Geschäft auf Gegenseitigkeit. Einem kapitalistischen Unternehmen würde so etwas nicht im Traum einfallen, da die Kalkulation mit lohnender Arbeit nicht an staatlichen Zugeständnissen, Steuergeschenken und günstigen Standortbedingungen, sondern am Erfolg ihrer Nutzung auf dem Markt hängt. Ob flächendeckend durchgeführte Lohnsenkungen zu privatwirtschaftlichen Geschäftserfolgen führt, das ist immer die eine Frage, und eine ganz andere ist es, was das Kapital mit einem solchen Geschäftserfolg anstellt. Bekanntlich stehen ihm da so einige Möglichkeiten offen: Erweiterung der Produktion, Kapitalexport, Anlage in Fonds, Spekulation an der Börse usw. Dass gegenwärtig Gewinn und zusätzlicher Kredit zur Rationalisierung eingesetzt werden, also zum Abbau von Arbeitsplätzen führen, pfeifen die Spatzen von Dächern. Und kein Kapitalist ist um die Begründung verlegen, die da lautet, dass nur so – und flankiert von weiteren Lohnkürzungen, versteht sich - die verbleibenden Arbeitsplätze gerettet werden können. Selbst die Wirtschaftspolitiker haben ihre Agenda 2010 nicht in dem Glauben durchgesetzt, dass Wirtschaftswachstum mit der Vermehrung von Arbeitsplätzen identisch ist. Es wäre nun wirklich eine allzu alberne Logik, welche dem Kapital schnuckelige Geschäftsbedingungen schafft, und die im Gegenzug erwartet, dass die Unternehmen sich von eben diesem, gerade staatlich anerkannten Geschäftsstandpunkt verabschieden und ganz gegen ihre Rentabilitätserwägungen  einfach mal Arbeitplätze schaffen.

 

 

3.

 

Studiert man den Müntefering etwas genauer, stellt man fest, dass seine Schelte nicht einmal der Kapitalistenklasse gilt. Ihm ist an einer Sortierung sehr gelegen, die je nach Stimmung und Klientel das Kapital nach den Großen und den Kleineren, sprich: dem Mittelstand und den Großkonzernen auseinanderlegt, die am Mittelstand dann das Bodenständige ausmacht, dieses mit Verantwortungsbewusstsein schönt, sodass schnell aus der ersten Sortierung eine zweite wird und zwar die nach hiesigem, nationalem Kapital, eben dem deutschem Mittelstand und den auswärtigen Multis, die – und da lauert bereits die dritte Sortierung  - vor allem in Gestalt des verantwortungslosen spekulativen Finanzkapitals nur deutsche Firmen und deren Arbeitsplätze ruinieren wollen. Sehr kalkuliert wird hier dem deutschen Arbeiter, der mit schwieliger Faust Produkte “made in Germany” schafft, der ausländische Börsenhai gegenübergestellt, der sich mit seinen “Hedge-Fonds” oder den “Private-Equity-Investoren” an den Früchten ehrlicher deutscher Arbeit bereichert, ohne auch nur einen Finger krumm zumachen. Eine schöne Reklame ist das für den Kapitalismus; und zwar für einen Kapitalismus ohne “Auswüchse”, wie bei Müntefering all jene großen, ausländischen und spekulationsgeilen Kapitalisten heißen, denen er Pflichtvergessenheit, Verantwortungslosigkeit und Vaterlandsverrat vorwirft! Als ob das kleine und das große, das in- und ausländische, das Industrie- und das Finanzkapital nicht immer nur das eine treibt, nämlich das Interesse an einem ordentlichen Gewinn; als ob vom deutschen Mittelstand noch nie ein deutscher Lohnwerker entlassen worden wäre, als ob es kein original deutsches Finanzkapital gibt, als ob nicht jedes kapitalistische Geschäft immer ein Stück weit Spekulation auf unplanbare Markterfolge ist und als ob es den “Heuschrecken”, die ganze Unternehmen aufkaufen, um sie – filetiert, runderneuert, gesundgeschrumpft etc.- zu verkaufen, nicht auch nur um den (spekulativen Veräußerungs-)Gewinn geht.

 

Ob der nationalistische Tonfall, der mit Versatzstücken faschistischer Kapitalismuskritik – ja die gibt es! – kokettiert, gewollt ist oder nicht, ist dabei egal: bei den Nationalisten im deutschen (Arbeits-)Volk wird er schon Eindruck machen. Wie hat doch Angela Merkel neulich, diesen Tonfall treffend gesagt: “5 Mio Arbeitslose sind unpatriotisch!” Da will doch die SPD beim Wähler nicht nachstehen!

 

 

4.

 

Welcher Teufel den Müntefering bei der Abfassung seiner Rede geritten hat, das ist überhaupt kein Geheimnis. Eine SPD, der die “kleinen Leute” ihre Armut und Arbeitslosigkeit anlasten, weil Schröder erstens an der Regierung ist und zweitens versprochen hatte sie zu halbieren, verliert Wahlen, sodass ihre Macht in Düsseldorf und Bonn auch schwer in Frage gestellt ist. Was muss da her: Eine Wahlkampfagitation, die den Wählern mitteilt, dass nicht die SPD an ihrer Lage schuld ist, sondern das pflichtvergessene Kapital, genauer: das pflichtvergessene große, ausländische Finanzkapital. Die politische Macht, so lautet die Botschaft dieser originellen Wahlkampfmunition, gehört weiter in die Hände der Sozis, die sich mit ihrer Wirtschaftspolitik auch in Zukunft um Arbeitsplätze so kümmern werden, wie es ihre nationale Aufgabe ist. Sie werden wie gehabt standortgetreu der Kapitalistenklasse alle nur denkbaren Geschäftsbedingungen verbessern. Und wenn dann daraus keine Arbeitsplätze erwachsen, dann soll man daran denken, dass die SPD dafür nichts kann. Ob das ein guter Grund fürs Wählen ist, wenn man denn schon unbedingt wählen will und nach wie vor nichts dabei findet, dass man das Kapital nicht abwählen kann, sei dahingestellt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

.