Metalltarifrunde 2004: [1]

 

Lektion gelernt!

 

Auf den ersten Blick scheint auch die jüngste Metall-Tarifrunde dem klassischen Drehbuch mit Lohnforderungen, die dann halbiert werden, Warnstreiks, wechselseitigen Schuldzuweisungen und einem recht plötzlich erzielten Kompromiss, der dann besonders von der Gewerkschaftsseite als ihr Sieg oder als Sieg der Vernunft vorgestellt wird, gefolgt zu sein.

 

Doch nur auf den ersten Blick. Auf den zweiten stellt sich alles gänzlich anders dar: Das beginnt bereits damit, dass es plötzlich die Metallarbeitgeber sind, die Forderungen zu stellen beginnen. So als würde die jährliche Tarifrunde nicht der - immer wieder der Untauglichkeit überführte - Versuch der Gewerkschaften sein, mit neuen Forderungen zu kompensieren, was Unternehmer nach Tarifabschluss im Betrieb mit dem Lohn-Leistungverhältnis zu ihren Gunsten anstellen. Das setzt sich mit der Forderung selbst fort. Und die hat es in sich: Glatt fordern die Unternehmer, dass ab sofort Mehrarbeit auch einmal ohne Lohn zu haben sein müsse. Das Prinzip, dass jede Arbeit bezahlt gehört – ein Prinzip, das die Höhe Entlohnung bereits verschämt ausblendet -, wird für null und nichtig erklärt, wenn die Metallarbeitgeber die bedarfsweise Verlängerung der Arbeitszeit von 35 auf 40 Stunden fordern und dabei die Frage der Bezahlung den Betrieben überlassen wollen. Das findet einen vorläufigen Höhepunkt darin, dass die IG Metall diesen Angriff auf Arbeitszeit und Lohn - er könnte sich auf einen Lohnabzug von ca. 14% summieren – überhaupt für verhandelbar hält! Das wird dadurch ergänzt, dass auf diese Weise der Arbeitgeberverband seinem Ziel ein Stück näher kommen will, die Einmischung der Gewerkschaften – die sie prinzipiell nicht leiden können - noch weiter zurückzudrängen und den Flächentarifvertrag durch einen puren Rahmenvertrag zu ersetzen, der von Betrieben und ihren Räten in „betriebsnaher Entscheidungsfindung“ auszufüllen ist. Und das endet damit, dass nicht die örtlichen Tarifverhandlungsführer das Ergebnis auskungeln, sondern die Verbandschefs sich zu einer politischer Einigungsrunde zusammensetzen, die einer doppelten Vorentscheidung Rechnung zu tragen hat: Zum einen ist klar, dass Streik nicht sein darf. Was Deutschlands Wirtschaft nützt und was ihr schadet, haben die IG-Metaller im abgebrochenen Stahlstreik im Osten gelernt. Und Streik schadet! Das einzige Kampfmittel von Arbeitern ist von ihrer Gewerkschaft vorerst aus dem Verkehr gezogen. Zum anderen sitzt immer der Kanzler Schröder virtuell mit seiner Drohung mit am Tisch, notfalls die Tarifautonomie per Gesetz auszuhebeln, wenn die IG Metall nicht von sich aus in ihrer Tarifpolitik auf Schröder-Kurs einschwenkt.

 

Das Ergebnis unterstreicht den Beginn dieser neuen Tarifpolitik: Die IG Metall hat erstens einer effektiven Lohnsenkung zugestimmt: Was sind nach der Euro-Einführung die durchschnittlich 2,45% auf mehr als zwei Jahre Laufzeit, die überdies nichts über den einzelnen Lohn aussagen, sondern nur die Maximalhöhe des „Tarifvolumens“ für die Unternehmer darstellen, und zudem mit dem Vertrag verrechnet werden, der das Entgelt-Gefüge von Arbeitern und Angestellten angleicht. Und zweitens hat sie einen „Grundsatzbeschluss“ vereinbart, demzufolge von „betrieblichen Mindeststandards abgewichen“ werden kann, d.h. die Arbeitszeit für nicht mehr 18%, sondern für 50% der Belegschaft um 5 Stunden erhöht werden kann. Dazu gehören Streichung von Sonderzahlungen bzw. Mehrarbeitszuschlägen und die „Erhöhung oder Absenkung der Arbeitszeit mit oder ohne (!) vollen Lohnausgleich“. Dieser Beschluss, der es den „Betriebsparteien“ erlaubt, noch einmal kräftig am Lohn der Leute zu sparen, wird zwar nicht tarifiert, hat aber den Segen der Gewerkschaft, gilt also wie tarifiert. „Probeweise“ tritt er in Kraft; und später soll überprüft werden, ob dadurch Arbeitsplätze gerettet worden sind. Ein Ergebnis der Überprüfung steht jetzt schon fest: Klar sind welche gerettet –  immer genau so viele, wie es sie noch gibt. Eine zweite „Probe“ hat die IG Metall zu bestehen: Sie hat den Kapitalisten zu beweisen, dass sie bereit ist, alles abzunicken, was von „Betriebsparteien“ zum Wohle der Betriebe ausgehandelt wird. Tut sie das nämlich nicht, wollen die Unternehmerverbände die Regierung einschalten und sie an das Versprechen erinnern, dann eben per Gesetz den Flächentarifvertrag abzuschaffen.

 

Die größte und eigenem Bekunden zufolge stärkste Einzelgewerkschaft der Welt hat ihre Lektion also gelernt. Zwischen den Alternativen, als Gewerkschaft vom Gesetzgeber ausgemischt zu werden, oder als nationale Arbeiterlobby weiterhin Beachtung zu finden, hat sie sich für das letzte entschieden und einen Preis gezahlt, der den Metallabeitern so einiges deutlich macht: Was die nationalen Standortkonkurrenzanstrengungen den Lohnarbeitern zumuten, das bekämpft sie nicht, sondern das setzt sie zusammen mit Politik und Arbeitgebern und natürlich immer ganz streitbar durch – für Deutschland und gegen die Arbeitnehmer.

 

„Wir haben an dem Kernselbstverständnis der Gewerkschaft gerührt“, sagt Metallkapitalistenchef Kannegießer. Wieso nur gerührt? Und an welchem gewerkschaftlichen Kernselbstverständnis?



[1] Für jungle World, 12.02.04